Ich lese gerade mit vielen Aha-Effekten Das Buch der Mitte von dem Inder Vishal Mangalwadi. Es ist ein höchst informatives und gleichzeitig unterhaltsames Buch. Kapitel für Kapitel deckt Mangalwadi den Einfluss der Bibel auf die Kultur, Gesellschaft, Wissenschaft und Bildung auf. Trotz der hecktischen Zeit fällt es mir schwer, das Buch zur Seite zu legen. Bei dem folgenden Abschnitt musste ich an die Leser von NIMM UND LIES denken. An uns, die wir Bücher lieben und lesen und sammeln.
Erlösung durch Rotation?
Dem Buchdruck und den Büchern gelang es deshalb nicht, meinen asiatischen Kontinent zu reformieren, weil unsere religiöse Denkweise das Denken aushebelte. Um das Jahr 823 n. Chr. besaßen die chinesischen Klöster bereits so viele Bücher, dass sie auf die Idee kamen, rotierende Bücherregale zu konstruieren. Gegen 836 erfand man in einem Kloster in Suchow im Osten Chinas sogar eine Bremse, um sie anzuhalten. In der Mitte des 12. Jh., als einige der europäischen Klöster und Klosterschulen aufblühten und daraus Universitäten entstanden, reiste der buddhistische Mönch Yeh Meng-te (gest. 1148) durch die Klöster und Tempel im Osten Chinas und berichtete: «In sechs bis sieben von zehn Tempeln kann man bei Tag und Nacht das Geräusch der rotierenden Regale vernehmen.»
Sollte dies den Mönchen ermöglichen, leichter an die Bücher zu kommen? Das würde bedeuten, dass diese Tempel Zentren eifrigster Forschung waren. Aber Professor Lynn White Jr., einer der größten Kenner der Frömmigkeit und des Technikfortschritts im Mittelalter, erläuterte, das Geräusch der drehbaren Regale sei keineswegs Zeichen großer Gelehrsamkeit gewesen. Vielmehr meditierten die Mönche zum Geräusch der unermüdlich rotierenden Bücherregale, in denen die heiligen Bücher standen. Die Weisheit, die diese Werke enthielten, interessierte sie nicht. Sie suchten «Erlösung durch Rotation der heiligen Schriften», weil Wörter für sie keine Bedeutung hatten. Ihre Absicht war es, durch sinnfreien Klang (mantra)zum Schweigen zu gelangen.