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Gottes Vorsehung entschuldigt unsere Bosheit nicht

Wer eine reformierte Sicht des Zusammenspiels von Gottes Vorsehung und Dingen wie Zufall, dem Bösen, menschlicher Verantwortung sucht handelt sicherlich nicht falsch wenn er zu Calvins Institutio zeigt. In den Kapiteln 16 bis 18 widmet sich Calvin dem Thema der Vorsehung. Zunächst wird die Lehre von der Vorsehung definiert: Es ist Gottes Erhaltung seiner Schöpfung. das biblische Bild von der Schöpfung ist nicht einfach bloß ein Theistisches als hätte ein großer Erschaffer einmal einen Knopf gedrückt und nun arbeitet ein äußerst komplexer Mechanismus ganz autonom ein Programm ab – Nein die Bibel zeichnet ein Bild, dass die Schöpfung auch nicht einen Augenblick bestehen kann, wenn sie nicht durchgehend erhalten würde (Heb. 1,3 man vgl. aber auch die vielen weiteren Beispieltexte die Calvin zu dieser These aufführt).

In Kapitel 16 bespricht Calvin nun das Zusammenspiel von Menschlicher Verantwortung und Gottes Vorsehung. Wem die griechischen und römischen Sagen und Legenden nur am Rande bekannt sind, wird über die große Obsession der Antike überrascht sein, dass der Einzelne einem Unabänderlichen Schicksal ausgeliefert ist. Genau da greift Calvin ein und zitiert einige bekannte „Klassiker“. Das christliche Modell von Gottes Souveränität und ist selbstverständlich komplexer,freier, gründlicher. In jedem Fall ist Gottes absolute Vorsehung und Kontrolle niemals eine Ausrede für das was wir anrichten. Daran lässt Calvin keinen Zweifel übrig. Ein Auszug aus dem dritten Abschnitt vom 16 Kapitel des ersten Buches der Institutio. Das vollständige erste Buch findet sich kostenfrei im Web.

„Wem solche Bescheidenheit zuteil geworden ist, der wird weder um der Widerwär­tigkeiten vergangener Zeiten willen gegen Gott murren, noch auch die Schuld für die Übeltaten auf ihn schieben, wie es Agamemnon bei Homer tut: „Ich bin dessen nicht schuld, sondern Zeus und das Schicksal!“ Er wird sich auch nicht wie jener Jüngling bei Plautus, wie vom Schicksal dahingerissen, verzweifelt ins Verderben stürzen: „Unbeständig ist das Los der Dinge, nach Willkür handelt das Schicksal am Menschen; ich will mich zum Felsen begeben, um mit meinem Leben der Sache ein Ende zu machen!“ Auch wird er nicht nach dem Beispiel eines anderen mit dem Na­men Gottes seine Untaten beschönigen. So spricht es Lyconides in einer anderen Ko­mödie (des Plautus) aus: „Gott war der Anstifter, ich glaube, die Götter haben es so gewollt; denn ich weiß: hätten sie es nicht gewollt, so wäre es nicht geschehen!“ Nein, er wird aus der Schrift forschen und lernen, was Gott gefällt, um unter Führung des Geistes danach sich auszustrecken; er wird zugleich bereit sein, Gott zu folgen, wohin er ihn ruft, und damit zeigen, daß nichts heilsamer ist, als diese Lehre zu kennen.

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Gottlose Leute machen mit ihren Albernheiten einen Aufruhr, so dass sie sozu­sagen beinahe Himmel und Erde durcheinander werfen: „Wenn der Herr doch den Zeitpunkt unseres Todes bestimmt hat, so kann man ihm nicht entgehen, und alle Vorsichtsmaßnahmen sind vergebliche Mühe!“ Wenn also der eine einen Weg mei­det, den er als gefährlich kennt, um nicht von Räubern umgebracht zu werden, – wenn der andere den Arzt holt und sich um Arzneien bemüht, um sein Leben zu er­halten, – oder wenn wieder ein anderer sich schwererer Speisen enthält, um seine schwache Gesundheit zu schonen, – oder wenn einer Bedenken trägt, ein baufälliges Haus zu beziehen, – oder wenn wir alle miteinander Wege ersinnen und mit großer Anstrengung überlegen, um zu bekommen, was wir begehren – dann sind das (nach ihrer Meinung) lauter sinnlose Mittel, mit denen man Gottes Willen zu ändern be­gehrt; oder aber Leben und Tod, Gesundheit und Krankheit, Frieden und Krieg und alles andere, das Menschen erstreben oder hassen und deshalb mit großem Fleiß zu erlangen oder fernzuhalten streben, wird gar nicht von seinem gewissen Entscheid bestimmt! Ja, man hält dann auch die Gebete der Gläubigen für verkehrt, ja für überflüssig — da man ja in ihnen um Gottes Leitung in solchen Dingen bittet, die Gott doch seit aller Ewigkeit festgelegt hat! Kurz, alle Vorkehrungen für die Zukunft hebt man auf, als im Widerspruch zu Gottes Vorsehung stehend – da diese auch ohne Rücksicht auf sie schon beschlossen habe, was geschehen soll. Und was wirklich geschieht, das schreibt man der Vorsehung Gottes derart zu, dass man dabei den Menschen entschuldigt, der es doch gewiss mit Überlegung angerichtet hat. Da bringt ein Meuchelmörder einen rechtschaffenen Bürger ums Leben – er hat, so sagt man, Gottes Rat ausgeführt! Da hat jemand gestohlen oder die Ehe gebrochen – er ist ein Knecht der Vorsehung Gottes, denn er hat getan, was von dem Herrn vorgesehen und bestimmt war! Da lässt ein leichtsinniger Sohn seinen Vater sterben, ohne sich um Heilmittel zu bemühen – er konnte ja Gott nicht widerstehen, der es von Ewigkeit her so beschlossen hatte! Auf diese Weise heißen dann alle Untaten Tugenden, weil sie ja angeblich der Anordnung Gottes dienen!

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Der Fürst und der Fährmann – Eine Erzählung in 12 Kapiteln von Eckart zur Nieden

Der Fürst und der Fährmann, eine Erzählung in zwölf Kapiteln von Eckart zur Nieden. Für 8,90EUR bei CLV.de erhältlich, die dieses Werk von zur Nieden neu aufgelegt haben. Das Werk wird auch gewohnt ausgezeichnet von Hanno Herzler vorgelesen.

Es gibt so viele Gründe, warum Der Fürst und der Fährmann eine gelungene Erzählung ist. Da ist zum Beispiel die Schilderung einer tiefen Freundschaft, die zwischen zwei Männern entsteht, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Da beide schon etwa 50 Jahre alt sind und somit ihre Midlife-Krise hinter sich haben, ist das Werk eine Ermutigung dafür, wie gut es ist, wenn man einen guten Freund hat.

Durch die Begegnung mit dem Fährmann erfährt der Fürst zum ersten Mal, was es bedeutet, wenn ein Mensch nach dem Wort Gottes lebt. Der Fährmann hat einen Stapel Bibelverse liegen, deren obersten er wieder nach unten legt, wenn sich dieser in seinem Leben erfüllt. Dadurch schildert dieses, auch für jüngere Kinder gut geeignete, Werk sehr geschickt, wie ein gottesfürchtiges Leben aussehen kann, das vom Wort Gottes geprägt ist. Es verfällt dabei nicht in Formalitäten oder christliche Traditionen. Hans, der Fährmann, ist ein Mann, der mit Gott lebt, ohne dass es verkünstelt wirkt. Das beeindruckt den Fürsten, der ein „formelles“ Leben allzu gewohnt ist.

Der Fürst erweist sich dabei als ein Mensch, der bereit ist, zu lernen und sich zu verändern. Dabei gelingt es Zur Nieden, diese Veränderungen so zu schildern, dass sie wirklich realistisch und „erreichbar“ sind. Die Geschichte wirkt an keiner Stelle verkünstelt – so ungewöhnlich eine Freundschaft zwischen einem Fürsten und einem Fährmann auch sein mag.

Die Geschichte gliedert sich in zwölf Kapitel, die uns in das Jahr „11 nach der Sonnenfinsternis“ führen und jeweils eine Situation aus einem Monat dieses Jahres schildern. Entsprechend sind die Kapitel mit Monatsangaben überschrieben. Was mit einer spektakulären Lebensrettung des Fürsten im Januar beginnt, endet mit einer geselligen Weihnachtsfeier in einer kleinen Hütte im Dezember. Dazwischen finden sich Erlebnisse aus Frühling, Sommer und Herbst. Durch diese Gliederung ergeben sich zwölf in sich abgeschlossene Kapitel von jeweils etwa 25–30 Minuten Länge.

Zur Nieden erweist sich dabei als ein geschickter Autor, der kleine Running Gags (Stichwort: Brennnesseltee) ebenso in die Geschichte einbaut wie gründlich ausgearbeitete Details aus dem Leben des Fährmanns, z. B. sein Verhalten, wenn ein Flößer oder ein Köhler an der Fähre vorbeiziehen. Im Werk finden sich auch metaphorische Elemente: Einmal steckt der Fährmann in Not und muss unbedingt den Fürsten sprechen. Der Weg zum Fürsten führt jedoch nur über dessen Sohn. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, im Anschluss an die Erzählung mit den Zuhörenden darüber ins Gespräch zu kommen.

Meine Kinder haben dieses Werk bereits gekannt, und ich bin froh, dass ich mich diesem gelungenen Erzählwerk ebenfalls gestellt habe. Wir haben es gemeinsam auf einer längeren Fahrt als Hörbuch angehört.

CLV hat dieses Buch neu aufgelegt in der Reihe „Jung und Jünger“. Nach diesem Buch haben wir uns weitere Werke dieser Reihe geholt, wobei etwas schade ist, dass bisher nach meinem Wissen nur „Der Fürst und der Fährmann“ als Audio-Buch vorhanden sind.

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„Warum nur bin ich so traurig? Warum ist mein Herz so schwer?“

Neulich bin ich ziemlich mutlos aufgewacht. „Wenn ich aufwache, so rede ich von dir“? – Nichts wäre wohl ferner. Lustlos setzte ich mich an den Tisch, das Handy meiner Frau war mit der Bibelapp offen, genau bei Psalm 42. Es war wie das lebendige Wasser. „Was betrübst du dich meine Seele“, diese dreifache Selbstfrage aus Psalm 42 (und 43) ist wohl vielen bekannt. Hoffnung für Alle (HFA) übersetzt mit: „Warum nur bin ich so traurig? Warum ist mein Herz so schwer?“ Die Selbstzweifel, Selbstreflexion bleibt weiterhin, ist aber deutlich „näher“, nahbar formuliert.

Eigentlich ging ich bisher davon aus, dass gerade die Psalmen in der Lutherübersetzung nicht überboten werden können. Doch Psalm 42 in der HFA ist wirklich eine gelungene Übersetzung, die ich hier auch vollständig wiedergeben möchte.

In den letzten Wochen habe ich wiederholt die Erfahrung gemacht, wie bereichernd es ist, die Verse in den unterschiedlichsten Übersetzungen zu betrachten, vor wenigen Wochen schrieb ich bereits darüber.

Natürlich wird so dem linguistischen Laien eine Frage nur dringender: Was genau steht dann in dem eigentlichen biblischen Text. Welche Übertragung und Übersetzung trifft diese oder eine andere Phrase besser? Was sagt der Text wirklich. Klar, einerseits spricht mich diese oder jene Übertragung an, aber was ist es, was Gott mit diesem Text sagt? Obwohl es nicht einfach ist, diese Fragen zu beantworten, können wir den Reichtum, denn die vielen deutschsprachigen Bibelübersetzungen bieten, wirklich genießen:

„1 Von den Nachkommen Korachs, zum Nachdenken. 2 Wie ein Hirsch nach frischem Wasser lechzt, so sehne ich mich nach dir, o Gott! 3 Ja, ich dürste nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann darf ich in seinen Tempel kommen? Wann darf ich wieder vor ihn treten? 4 Tag und Nacht weine ich, Tränen sind meine einzige Speise, denn ständig verspottet man mich und fragt: »Wo bleibt er denn, dein Gott?« 5 Es bricht mir das Herz, wenn ich an früher denke: Da ging ich dem großen Festzug voran und führte ihn zum Haus Gottes. Da konnte ich Gott zujubeln und ihm danken inmitten der Menge! 6 Warum nur bin ich so traurig? Warum ist mein Herz so schwer? Auf Gott will ich hoffen, denn ich weiß: Ich werde ihm wieder danken. Er ist mein Gott, er wird mir beistehen! 7 Mein Gott, ich bin völlig verzweifelt! Aus der Ferne des Jordanlandes denke ich voll Trauer an dich. Während ich auf dem Berg Misar im Hermongebirge stehe, gehen meine Gedanken zu dir. 8 Von den Bergen stürzen Wildbäche tosend in die Tiefe. Mir ist zumute, als würden die Fluten mich mitreißen und fortspülen. 9 Tagsüber seufze ich: »HERR, schenke mir deine Gnade!« Und nachts singe und bete ich zu Gott, in dessen Hand mein Leben liegt. 10 Gott, du bist doch mein einziger Halt! Warum hast du mich vergessen? Warum lässt du mich leiden unter der Gewalt meiner Feinde? 11 Ihr Hohn dringt mir ins Herz, wenn sie Tag für Tag fragen: »Wo bleibt er denn, dein Gott?« 12 Warum nur bin ich so traurig? Warum ist mein Herz so schwer? Auf Gott will ich hoffen, denn ich weiß: Ich werde ihm wieder danken. Er ist mein Gott, er wird mir beistehen!

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Review: Hard Sayings of the Bible

Ich bin gleichzeitig begeistert und frustriert mit dem Buch „Hard Sayings of the Bible“. Das könnte an dem Rundumschlag liegen, denn das Werk versucht. Es versucht wirklich alle „kratzenden“ und „schwer“ zu verdauenden Stellen der Bibel zu besprechen, ob sie nun vom Schöpfungsauftrag sprechen oder von der Kopfbedeckung, unterschiedliche Zahlenangaben besitzen oder unterschiedlcihe Erzählweisen (z.B. bei den Synoptikern). Die Begeisterung fängt schon mit den Autoren an, ein Gemeinschaftswerk von Kaiser UND Bruce? Unglaublich. Auch die Gliederung des Werkes ist äußerst gelungen. Das Buch besteht im wesentlichen aus drei Teilen: Einem ausführlichen Einleitungskapitel, Thematischen Fragestellungen, die häufig vorkommende Fragestellungen bespricht, wie „Ist der Gott des alten Testaments zorniger als der im Neuen Testament“, „Stimmen biblische Zahlenangaben“. Der dritte und umfangreichste Teilt geht konkrete Biblische Texte nach. Damit ähnelt das Werk „Schwer zu verstehen“ von Gleason L. Archer, welches wir hier auch schon einmal besprochen haben. Es ist aber umfangreicher und die Autoren sprechen auch regelmäßig die Texte an, die wir modernen Menschen gerne eher etwas gedämpft oder nicht ganz so hart haben würden wollen. Auch das gelingt dem Werk meistens sehr gut. Übrigens ist das Werk ein Potpourri oder die Quintessenz davor vorhandener Werke, die einzelne Themenblöcke davon bereits besprochen haben, so Bruce die Harten Reden Jesu und Brauch die schweren Stellen von Paulus.

Etwas Frustration bekam ich beim Lesen der Besprechungen der einzelnen „harten Texte“ der Bibel, weil es schien, dass auch die Autoren oft eine Härte gegenüber anderen Meinungen entwickelten. Es ist sicher auch die typisch amerikanische selbstbewusste Art häufig sehr einfach und eindeutig zu argumentieren, aber damit auch nicht wirklich ernsthaft. Eigentlich hätte ich das von einem Werk, an dem Bruce und Kaiser beteiligt sind, nicht erwartet. Während das Werk z.B. vehement eine allzu pazifistische Deutung von, immerhin auch als harte Texte, erkannte Stellen ablehnt, bekämpft es auch vehement alle Versuche die Lüge sei in Fällen, in denen man damit z.B. ein Leben retten könnte (man denke an Rahabs Lüge) zulässig. Während man im letzteren Fall lautstark protestiert: Das Gebot der Lüge kenne keine Ausnahme und wer könne wohl den Text vorbringen, dass das Retten eines Lebens wichtiger wäre als die Wahrhaftigkeit, weiß man im anderen Fall allzu genau, dass Krieg zulässig ist, während doch „nicht zu töten“ noch vor dem Gebot „nicht zu lügen“ veröffentlicht wird.

Wie gesagt, ich könnte mit diesen Positionen der Autoren leben, wenn sie diese wenigstens nicht so vehement und unbarmherzig vertreten würden. Gerade weil sie ja regelmäßig dazu aufrufen Harte Stellen nicht „zu verweichlichen“ passiert genau das, wenn man die Texte allzu sehr in eine Richtung harmonisiert.

Diese Frustration soll mich aber nicht abhalten, einen längeren Auszug aus der Einleitung zu veröffentlichen, das ich für richtig gelungen halte. An dieser Stelle schreibt Kaiser über die harten Worte Jesu(Hervorhebung meine):

„Viele derjenigen, die Jesus während seines öffentlichen Wirkens zuhörten, empfanden einige seiner Aussagen als „hart“ – und sagten das auch. Viele derjenigen, die seine Worte heute lesen oder sie in der Kirche hören, empfinden sie ebenfalls als hart, äußern das jedoch nicht immer, weil sie es unangebracht finden.

Die Worte unseres Herrn waren im Einklang mit seinem Handeln und seinem gesamten Lebensstil. Je weniger vorgefasste Meinungen wir aus dem Außen an die Evangelien herantragen, desto klarer werden wir ihn so erkennen, wie er wirklich war. Es ist allzu leicht, an einen Jesus zu glauben, der im Wesentlichen eine Erfindung unserer eigenen Vorstellungskraft ist – eine harmlose Person, die niemanden wirklich dazu bringen würde, ihn zu kreuzigen. Doch der Jesus, dem wir in den Evangelien begegnen, war alles andere als harmlos – er stieß überall an. Selbst seine treuen Anhänger empfanden ihn mitunter als zutiefst befremdlich. Er stellte alle gängigen Vorstellungen religiöser Angemessenheit auf den Kopf. Er sprach von Gott in einer Vertrautheit, die wie Gotteslästerung klang. Er schien zweifelhafte Gesellschaft geradezu zu genießen. Und er begab sich mit offenen Augen auf einen Weg, der nach Ansicht der „vernünftigen“ Leute zwangsläufig ins Verderben führen musste.

Doch in denen, die sich nicht von ihm abwenden ließen, entfachte er eine leidenschaftliche Liebe und Treue, die selbst der Tod nicht zerstören konnte. Sie wussten, dass sie in ihm den Weg zur Annahme, zum Frieden des Gewissens, zum wahren Leben gefunden hatten. Mehr noch: In ihm erkannten sie Gott selbst auf neue Weise; hier wurde das Leben Gottes in einem echten menschlichen Leben sichtbar – und durch ihn auf sie übertragen. Und es gibt auch heute viele Menschen, die Jesus nicht in Galiläa und Judäa, sondern im Zeugnis der Evangelien begegnen – und auf ähnliche Weise seine kraftvolle Anziehungskraft erfahren, sodass sie denselben Weg einschlagen wie jene, die damals positiv auf ihn reagierten.

Ein Grund dafür, dass Jesu Worte als hart empfunden wurden, lag darin, dass er seine Zuhörer zum Denken brachte. Für manche Menschen ist das Denken eine schwierige und unangenehme Übung – besonders dann, wenn es bedeutet, fest verankerte Vorurteile und Überzeugungen kritisch zu hinterfragen oder den herrschenden Meinungskonsens in Zweifel zu ziehen. Jede Aussage, die zu solchem Denken auffordert, gilt daher als eine harte Rede. Viele der Worte Jesu waren in diesem Sinn hart. Sie deuteten an, dass es gut wäre, Dinge zu überdenken, die jeder vernünftige Mensch als selbstverständlich ansah. In einer Welt, in der das Rennen den Schnellen und der Sieg den Starken gehörte, in der die Lebenspreise an die Durchsetzungsfähigen und Macher gingen, war es völlig absurd, den Sanftmütigen zu gratulieren und ihnen zu sagen, dass sie das Erdreich besitzen oder – noch besser – das Himmelreich erlangen würden. Vielleicht sind die Seligpreisungen damals wie heute Jesu härteste Aussagen.

Für die westliche Welt ist die Härte vieler Aussagen Jesu heute umso größer, weil wir in einer anderen Kultur leben als derjenigen, in der sie gesprochen wurden, und weil wir eine andere Sprache sprechen. Jesus sprach offenbar überwiegend Aramäisch, aber mit wenigen Ausnahmen sind seine aramäischen Worte nicht überliefert. Seine Aussagen sind in Übersetzung zu uns gekommen – und diese Übersetzung, das Griechisch der Evangelien, muss wiederum in unsere eigene Sprache übersetzt werden. Doch wenn die sprachlichen Hürden soweit wie möglich überwunden sind und wir seine Worte in einer sogenannten „dynamisch äquivalenten“ Übersetzung hören – also einer Übersetzung, die denselben Eindruck bei uns erzeugen soll wie die Originalworte bei ihren ersten Hörern –, dann kann die Überwindung der einen Schwierigkeit neue Schwierigkeiten hervorrufen.

Denn für uns gibt es zwei Arten harter Worte: solche, die schwer zu verstehen sind – und solche, die allzu leicht zu verstehen sind. Wenn Aussagen Jesu, die in ersterem Sinn schwer sind, in dynamisch äquivalente Begriffe übersetzt werden, werden sie oft im zweiten Sinn hart: weil sie auf einmal verständlich sind. Mark Twain sprach für viele, als er sagte, dass ihn nicht die unverständlichen Stellen in der Bibel beunruhigten, sondern gerade die, die er verstand. Das gilt besonders für die Worte Jesu. Je besser wir sie verstehen, desto schwerer sind sie auszuhalten. (Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, warum manche religiösen Menschen modernen Bibelübersetzungen so feindlich gegenüberstehen: Diese machen den Sinn deutlich – und der klare Sinn ist schwer zu ertragen.)

Insgesamt ein hilfreiche Ergänzung für jemanden, der bereits über einige Kommentare verfügt und konkret problematische Fragestellungen anschauen möchte. Vor allem im Neuen Testament gibt es zu jedem Kapitel meist mehrere Eintragungen.

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Krone des Lebens – Die Geschichte von Blanche Gamond von E.E. Ronner

Hinweis: Wiederveröffentlichung des Artikeln aus dem Jahr 2023 zur Neuauflage dieses Buches bei CLV 2025.


Endlich habe ich Zeit gehabt, die eindrucksvolle Biographie von Blanche Gamond zu lesen. Der Schweizer, der die Geschichte dieser Leidens- und Glaubensheldin niederschrieb, hat viele solcher Biographien aufgearbeitet und erhält so die Geschichte vom schweren Schicksal der Hugenotten auch für unsere Zeit.

Blanche ist einzige Tochter einer wohlhabenden Seidenzüchter-Familie in Saint-Paul. Obwohl der Druck auf die französischen Protestanten immer mehr zunimmt und sie z.B. zwangsweise die Einquartierung von Dragonern (= „gestiefelte Missionare“) dulden müssen (natürlich auf eigene Kosten), ist ihnen im Edikt von Nantes Toleranz zugesagt. Doch König Ludwig XIV widerruft dieses Edikt 1685. Er hat ein Ziel, zu dem er von den Engsten Beratern am Hofe mit angefeuert wird: Frankreich frei von „Ketzerei“ zu machen. Dabei setzt er zunächst auf Zwangsbekehrungen. Jede Ausreise aus dem Land ist den Hugenotten untersagt. Was nun anfängt sind einige Jahre brutale Verfolgung sämtlicher Protestanten (und ihrer Sympathisanten) in Frankreich. In genau diese Zeit fällt Blanche junges Leben. Auf der Flucht, während sie schon das rettende Ufer der „Schweiz“ sieht, wird sie und ihre Mutter ergriffen. Sie muss ansehen, wie viele Hugenotten der Haft/Folter/Verachtung/Ausgrenzung nachgeben und zum Papismus konvertieren, so auch ihre Eltern. Doch Blanche und viele andere Schwestern bleiben treu. Selbst dann als sie in die Hände von niemand geringerem als La Rapine landen. Er ist Spezialist für die „Unverbesserlichen“ im Spital von Valence und denkt sich nahezu täglich neue Teufeleien für die Ketzer aus. Eine Odyssee des Leidens beginnt nun für Blanche, aus der Sie mit Gottes Hilfe siegreich hervorgeht.

Das Buch von Ronner ist hervorragend recherchiert. Die individuelle Geschichte von Blanche wird mit vielen Informationen über das Schicksal der Hugenotten erläutert. Immer wieder zitiert er offizielle Dokumente, Predigttexte, Briefe. Die Grundlage seines Werkes ist aber vor allem die Aufzeichnung über ihre Leiden, die Blanche Gamond in ihrem Exil in Bern selbst verfasst hat.

Insgesamt ein lesenswertes Buch und ein guter Einstieg in die Geschichte der leidenden protestantischen Kirche Frankreichs.

Update am 05.06.2025:

Ein Neuauflage ist bei CLV erschienen:

Emil Ernst Ronner
Krone des Lebens – Die Geschichte von Blanche Gamond
Band 14 der Jugendbuchreihe »stark und mutig«

erhältlich auch bei cbuch.de.

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Hörbuch und Dokumentation über Philipp Mickenbecker

(Sprachliche Anpassung vom 19.05.2025)

Langsam klingt der Hype um die Real Life Guys sicher ab, und wie so oft, bin ich ein paar Jahre hinterher. Dennoch finde ich, enthält die Geschichte Philipps – neben einigen kritischen Elementen, sehr viel Gutes Material. Zu Gute kommt, dass die Dokumentation „Philipp Mickenbecker – Real Life“ nahezu eine nahtlose Ergänzung des Hörbuchs /Buchs „Meine Real Life Story – Und die Sache mit Gott“ ist(Wir haben dieses Werk bereits einmal besprochen). Diese Biographie, – gelesen vom Autor selbst- , erschien noch in einer Zeit, in der Philipp den Krebs nun endgültig für überwunden hielt. Im Hörbuch schildert der Autor seine Kindheit, seine Bekehrung, seine erste (und zweite Krebsdiagnose) und auch den Unglücksfall seiner Schwester. Immer wieder war bewegt, wie differenziert Philipp in diesem jungen Alter über Themen wie „Willen Gottes erkennen“, „individuelle Freiheit“, „Gebrauch und Umgang medizinischer Hilfe“, „Tod“, „Zweifel“ schreiben konnte. Die apologetische Stärke der Biographie ist mir erst langsam aufgegangen, was die Geschichte zu einem wertvollen missionarischen Instrument macht.

Die Dokumentation beschreibt in gewisser Weise die Geschichte Philipps weiter. Sie fängt mit dem Flugzeug-Absturz der Schwester an und wie dieses Ereignis Philipps geistliches Leben verändert hat. Grob lässt sich die Dokumentation (Achtung Spoiler) wohl in drei Teile teilen. Das erste drittel zeigt einige mediale Auswirkungen vom Schicksal Philipps auf, die ihm durch die große Reichweite seiner Channels ermöglichten in den unterschiedlichsten Sendungen seinen Glauben zu bekennen. Auch herausfordernden Fragen begegnete Philipp mit sowohl Verständnis wie Klarheit – Beides für das Alter sehr unerwartet und überraschend reif.

Das zweite Drittel beschreibt den Aufenthalt der Real Life Guys in der dominikanischen Republik, es ist Philipps letzte Unternehmung. Sein Krebs entwickelte sich hier bereits zu einer offenen Wunde, in die sich nun während dem Inselaufenthalt Maden einnisten.

Das letzte Drittel der Doku zeigt den Kampf gegen den Krebs, der langsam verloren wird. Man erlebt ein langsames Dahinsiechen, ja auch die letzten Tage und Stunden ,und dass inmitten von Corona! Schon einige Male konnte ich diese „gelbe alte“ Haut von Krebskranken persönlich miterleben, und hier sah ich sie am Leib des ansonsten sportlichen jungen Mannes wieder. Auch die Ärzte geben ihm keine Hoffnung mehr – äußerst loyal hält die Freundesgruppe in dieser Zeit zusammen und sie verbringen viel Zeit im Singen, Bibellesen und Gebet. Besonders eindrücklich ist das Gespräch zwischen Samuel Koch und Philipp wenige Stunden vor seinem Tod. Aber auch als Philipp Freunden und Eltern bekennen kann, dass er seinen Frieden mit Gott hat und seine Mutter erwidern kann, „wir auch“ das fand ich wirklich tröstlich. Kaum ist Philipp verstorben bewegt das einen seiner Guys das Christentum anzunehmen.

Eindrucksvoll endet die Dokumentation mit den in den Himmel aufsteigenden Ballons auf der Beerdigung Philipps (der natürlich, wie auch anders, in einer Badewanne beerdigt wurde) und während die Kamera langsam in den Himmel blickt, erscheint der Schriftzug „Real Life“. Das echte Leben erwartet den Christen erst noch!

Obwohl ich verstehe, dass der Lebensstil der Real Life Guys nicht jedermanns Sache ist, und einiges im Verhalten der Guys gelegentlich irritierend ist, lässt sich das klare Zeugnis von Philipp dadurch keinesfalls schmälern. Sein Zeugnis nur deswegen abzulehnen weil er aus keiner Friedensstimme- oder mennonitischen Gemeinde stammt, ist wirklich ein Armutszeugnis. Es ist auch ungerecht an einen, der schon mit 23 Jahren verstirbt, die gleichen Erwartungen zu stellen wie an einen 40-Jährigen. Diese Nachsicht mit der Jugend vermisse ich nahezu vollständig an allen Kritiken, die so durch den „Buschfunk“ gehen. Das schreibe ich nicht, weil ich Hoffnung hege, irgendwelche Kritiker zu irgendwas überzeugen, sondern weil ich die Wahrheit liebe.

Als Familie empfanden wir sowohl Hörbuch wie auch Dokumentation als eine große Ermutigung. Gerade in der letzten Zeit, in der das Leben unserer jüngsten immer wieder am seidenen Faden hing und das Thema „Medizin“ so unfassbar nah an einen trat, war diese Ausrichtung auf „das Real Life“ im Himmel ein großer Trost.

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Neues und Altes für die Ohren

Gelegentlich ist es gar nicht mehr so einfach gutes Hörmaterial ausfindig zu machen. In letzter Zeit habe ich mich schwer getan ansprechendes und „wirksames“ für unsere Kids aufindig zu machen. Dennoch gab es den ein oder anderen Glückgriff, den ich hier vorstellen möchte:

Um mit „Neuem“ anzufangen: Ganz druckfrisch aus der CD-Presse findet sich der 2 Teil der „Schwestern von Sea View“ von Julie Klassen in einer gelungenen Lesung von Sabine Schmitt. Ich überwand mich einige Stellen mit meiner Tochter anzuhören. Ansonsten dürfte es es eher für junge Damen ein ansprechendes Hörbuch sein.

In diesem Zusammenhang muss „Liebe wächst wie ein Baum“ erwähnt werden. Erst durch die szenische Lesung von SCM/ERF ist mir die tiefe und Zärtlichkeit dieser Geschichte aufgegangen, bzw. J. Oke als geschickte Schriftstellerin. Seit diesem Hörbuch bin ich ein großer Fan des Buches geworden.

Bei der Suche nach weiteren ERF-Hörbüchern dieser Qualität entdeckte ich außerdem „Tewje, der Milchmann“ von Scholem Alejchem. Ein unfassbar ehrliches Buch über das jüdische Leben im Südwesesten Russlands, dass seinen Humor und Optimismus nicht verliert.

„Der Junge mit dem Cowboyhut“ – über dieses Werk habe ich schon einiges gute gehört, bin aber erst jetzt dazugekommen es (zum großen Teil) mit den Kindern anzuhören, und die geradlinige Erzählweise hat mir genauso zugesagt, wie die nahbaren Personen des Werkes: Die Protagonisten werden kindsgerecht und doch mit ihren Schwächen und Stärken geschildert.

Reiner Unglaub wird als Sprecher selbst von Hörbibeln geschätzt. Wir schätzten ihn als den Sprecher von „Das Wirtshaus im Spessart“ kennen. Er liest diesen Märchenzyklus von Wilhelm Hauff mit einer ergreifenden Klarheit.

Wenn wir schon bei ergreifenden Sprechern sind: Die Bearbeitung der Wilhelm-Tell-Legende von Schiller durch Barbara Kindermann ist super gut gelungen und von Otto Sander einfach eindrucksvoll und berührend vorgelesen. Ich habe diese Geschichte gleich zwei mal durchgelesen. Da finden sich so viele interessante Aspekte zum Weitererzählung und Besprechen mit den Kindern… (Man müsste es, dass muss ich gestehen, nur häufiger machen). Anmerkung: Dieses Hörbuch lässt sich nicht mehr auf Audible erwerben.

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Logos Unchained – Ein Testbericht über Logos Pro

Wenn ich auch bei meiner zweiten Rezension über die Bibelsoftware Logos eine Anspielung an die Pop-Kultur wähle, dann auch, weil Logos mittlerweile ebenfalls ein Teil der Pop-Kultur ist, zumindest für jeden, der „populär“ die Bibel erforschen möchte. Populär meint hier, flexibel auf den unterschiedlichsten Geräten, ob Mobilgerät, Desktop-PC oder Browser-Anwendung und Populär meint auch die dadurch entstehende „zeitliche Flexibilität“. Populär meint auch den Zugriff auf „religiöses Big Data“.

Als nun langjähriger Logos-Nutzer freue ich mich, dass Logos viele Schritte in die richtige Richtung unternommen hat. Den neuen Trend mit dem Abo halte ich aber für mindestens verfrüht. Ich berichte.

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„Buch vom Glauben, von der Hoffnung und von der Liebe“ von Augustinus von Hippo

Manche Titel der Kirchenväter-Bücher tragen schon echt coole Titel, das „Enchiridion“ (= Handbüchlein), wie das „Buch vom Glauben, .von der Hoffnung und von der Liebe auch genannt wird“ hat definitiv einen spannenden Titel. Wie man erwarten darf, findet sich das Buch bei der Bibliothek der Kirchenväter.

Ich habe zu dem Buch aus zwei Antrieben heraus gegriffen: Zum Einen wollte ich wissen, was eigentlich die Definition von Hoffnung ist. Hoffnung ist ein Begriff, der mir noch weniger „greifbarer“ erscheint als Glaube. Irgendwie klingen versuchte Definitionen von Hoffnung nach Glaube (und teilweise auch umgekehrt).

Außerdem wollte ich wissen, ob es zu dieser Dreiteilung von Glaube, Hoffnung und Liebe weitergehende Betrachtungen gibt: Also fassen diese drei „Oberbegriffe“ alle Tugenden mit ein, in etwa dieser Art: Glaube die Tugenden in Richtung Gott (wie z.B. Treue, Vertrauen), Hoffnung die Tugenden zu sich selbst (wie z.B. Geduld, Ausharren) und Liebe die Tugenden zu den Mitmenschen (und somit auch Langmut, Sanftmut, Güte usw..).

Für diese zweite Frage fand ich in diesem Werk von Augustinus keine Antwort, auf die erste immerhin teilweise. Augustinus geht auf die Frage nach dem Unterschied von Glaube und Hoffen in Kapitel 2 dieses Werkes ein. Während man sowohl Böses wie Gutes glaubt, Vergangenes, wie Zukünftiges, blickt die Hoffnung nur auf die Zukunft und „zwar nur zu solchen Gütern, die den angehen, der die Hoffnung auf sie hegt“.

Dennoch war die Lektüre dieses mittellangen Werkes alles andere als enttäuschend. Es findet sich eine Besprechung des Glaubensbekenntnisses darin, dass Augustinus als Zusammenfassung aller christlichen Tugenden wertet. Die Exkurse, die Augustinus dabei zieht, waren teilweise sehr aufschlussreich, z.B. als er darüber nachdenkt, ob Notlügen zulässig sind (Kapitel 6, Augustinus lehnt diese Möglichkeit kategorisch ab).

Typisch Augustinus ist dabei, dass er diese Fragen oft von verschiedensten Perspektiven betrachtet. In Kapitel 7 entwickelt er seine Frage weiter: Man kann sich positiv irren und negativ nicht irren. Kann ein Irrtum etwas gutes bewirken, ja auch in guter Absicht entstanden sein, während eine Lüge, die zufälligerweise die Wahrheit trifft, weiterhin eine Lüge bleibt. Ein sehr spannendes Kapitel.

Augustinus spinnt den Faden weiter und landet bei einem Thema, dass man bei Augustinus regelmäßig trifft: Das Zusammenspiel von Gnade und freier Wille. Gerade in diesem Buch entwickelt er eine differenzierte Betrachtung darüber, wie der Wille des Menschen im Zustand im Paradies ist, wie er im Gefallenen und wie er im erlösten Zustand ist (Vergleiche auch diese Aufstellung in diesem Artikel).

Sehr spannend war die Besprechung des Sühnetods Christi (Kapitel. 13). Sehr gründlich stellt Augustinus zwei Möglichkeiten, zwei Wege, zwei Zustände dar: Entweder in Christus oder in Adam. Leider entwickelt sich hier der Faden in teils seltsame Wege. Der Zustand „in Christus“ kann nach Augustinus nur durch die Wiedergeburt der Taufe erreicht werden, ein Grund für ihn über die Notwendigkeit der Säuglingstaufe nachzudenken – dass er das tut deute ich derweil so, dass die Säuglingstaufe um das Jahr 400 noch vehement verteidigt und begründet werden musste. Während Augustinus in Kapitel 18 noch sehr vorsichtig von der Möglichkeit eines Fegefeuers spricht, klingt er in Kapitel 29 ganz anders: Hier spekuliert er, dass gute Taten der Nachkommen das Fegefeuer erträglicher machen können. Das sind so „Katholizismen“ des Buches, die aber kirchenhistorisch für die Entwicklungsgeschichte solcher Themen sehr interessant zu lesen sind. Sehr interessant ist auch wie kritisch Augustinus ehelichen Verkehr wertet (Kapitel 21). es ist im besten Fall eine durch den Apostel tolerierte Sünde.

Das Buch enthält viele interessante historische Details, z.B. die Erwähnung eines siamesischen Zwillings (Kap. 23) oder die Besprechung der Frage, ab wann eigentlich das Leben beginnt (gleiches Kapitel). Augustinus bespricht diese Fragen im Kontext von „der Auferstehung des Fleisches“. Ein starkes Kapitel, wie auch die gründliche Betrachtung der Buße in den Kapiteln 19-22. Leser, die mit Fragen nach dem Monergismus ringen, werden Kap. 27 IN wiefern heißt es 1. Tim 2,4: „Gott will, dass alle Menschen selig werden?“ interessant finden. Über weite Strecken ist das Buch von hervorragender Auslegungskraft, so werden Quellenunterschiede genauso besprochen, wie Wortstudien, Auslegungsweisen, wobei Augustinus gelegentlich über die Strenge schießt und stellenweise an Tertullians Dialektik erinnert. – Üblicherweise ist er aber ein ausgewogener und vorsichtiger Ausleger der Schrift.

Eigentlich hat man diesen Effekt bei Augustinus regelmäßig: Er klingt so oft sowohl völlig katholisch, während er noch eine Seite so radikal evangelisch klang. Mir geht es als Leser aber so, dass die radikale Zuwendung zum Evangelium und zur Gnade ein großer Trost und eine große Ermutigung wird, während der Katholizismus weiterhin ein Fremdobjekt bleibt.

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Buchvorstellung: Die Vision der Täufer – Ein Vortrag von Harold S. Bender

Die Broschüre Die Vision der Täufer von Harold S. Bender bietet eine kurze, aber prägnante Einführung in die Theologie und das Selbstverständnis der frühen Täufer. Sie vermittelt nicht nur eine historische Perspektive, sondern setzt sich auch reflektiert mit den zentralen Anliegen dieser Bewegung auseinander.

Die Täuferbewegung entstand vor 500 Jahren in Zürich. Das Ringen um ein neutestamentliches Gemeindeverständnis innerhalb des Zwingli-Kreises führte 1525 zur Trennung einiger Brüder und zur Gründung der ersten Täufergemeinden. Aus einstigen Freunden wurden in kurzer Zeit Feinde – und wie bekannt, schreiben die Sieger die Geschichte.

In der Kirchengeschichte wird dieser Wendepunkt von 1525 oft als Randnotiz behandelt, ohne die weitreichenden Folgen bis heute zu würdigen. Die Unterdrückung, Verfolgung und Hinrichtung der Täufer im 16. Jahrhundert führten dazu, dass Abweichler von den großen Kirchen als „Wiedertäufer“, Ketzer oder Schwärmer diffamiert wurden. Ihr zentrales Anliegen wurde zwar von vielen erkannt, letztlich aber doch verworfen.

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