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Kurze Texte über historische Persönlichkeiten…

… diesen ungewöhnlichen Titel trägt eine Biographie-Sammlung von Stefan Zweig. Zweig ist ein bekannter Biograph, zu seinen Werken zählen „Sternstunden der Menschheit“, „Baumeister der Welt“ und umfangreiche Biographien über Freud, Marie Antoinette, Maria Stuart, Magellan… Zweig ist immer ein spannender Erzähler, man hat das Gefühl, man ist ihm ganz nah, ich wähle das Bild des Lagerfeuers, so dass man beinahe mitreden kann, während Zweig berichtet. Ich empfehle für den Einstiegs Zweigs Erzählung „Die unsichtbare Sammlung“, oder man schafft sich gleich die Stefan Zweig Box an. Dies ist eine Lesung ausgewählter Texte von Stefan Zweig – erschien im Argon Verlag zum 125. Geburtstag des Autors.

An die größeren und umfangreichen biographischen Werke Zweigs habe ich mich bisher nicht getraut – ich empfinde Biographien zwar einerseits als besonders fruchtbares Lesevergnügen, aber gleichzeitig auch als ein besonders herausforderndes. Entsprechend bot sich die sowohl bei Amazon, wie auch bei Projekt Gutenberg kostenfrei verfügbare Sammlung an Biographien, oder zumindest Texten mit großem biographischem Bezug, an, die unter dem markanten Titel „Kurze Texte über historische Persönlichkeiten“ veröffentlicht werden.

Die Auswahl der Texte ist bunt gemischt und bespricht das Leben der mittelalterlichen Vatermörderin Beatrice Cenci, deren Leben durch Dichtung zur Legende verkam, ähnlich wie den tragischen Tod eines französischen Teenagers (Philippe Daudet) im Jahre 1923.

Beeindruckt hat mich die „Erinnerung an Theodor Herzl“. – Ein Text der auch heute noch große Bedeutung hat und persönliche Eindrücke von Herzl schildert – Überhaupt sind es die persönlichen Erinnerungen, die sich am interessantesten in dieser Auswahl lesen. Dazu gehört im weiteren Verlauf des Buches ein Treffen mit Albert Schweitzer, eine Grabesrede über Sigmund Freud, die Begegnungen mit dem französischen Pazifisten und Sozialisten Jean Jaures und die Schilderung eines ungewöhnlichen Kommilitonen Otto Weininger. All diese Leute kannte Zweig genauso persönlich wie Walther Rathenau, der Grundlage des wohl eindrucksvollsten Textes der Sammlung ist und den Teil bildet, der am ehesten einer (Kurz-)Biographie entspricht. Doch zurück zur Erinnerung an Herzl: Herzl war es, der Zweigs erstes Werk herausgab und Zweig blieb so immer ein wohlwollender Beobachter Herzls und des Zionismus (zu welchem er ansonsten keinen Zugang findet), schildert aber wie viel Benachteiligung und Kummer Herzl für seine Ideen des Zionismus in Kauf nehmen musste. Mit Zweigs Worten: „Diese Erinnerungen, ich weiß es wohl, scheinen von einem anderen Theodor Herzl zu erzählen als dem, den die Gegenwart kennt. Sie sprechen zunächst von einem einst berühmten und heute vollkommen vergessenen Schriftsteller, dessen Bildnis die ins Überzeitliche wachsende Gestalt des Zionisten Herzl vollkommen verschattet hat.“ (Verfasst 1937!) Sich zum jüdischen Volk zu bekennen, verschloss Herzl alle Türen und isolierte ihn in der Welt der europäischen Intellektuellen. Gleichzeitig blieb Herzl für das orthodoxe Judentum selten orthodox oder passend genug. Zweig schreibt über das Erbe von Herzl:

„Die Krankheit, die damals ihn zu beugen begann, hatte ihn plötzlich gefällt, und nur zum Friedhof mehr konnte ich ihn begleiten. Vor genau fünfundzwanzig Jahren. Ein sonderbarer Tag war es, ein Tag im Juli, unvergeßlich jedem, der ihn miterlebte. Denn plötzlich kamen auf allen Bahnhöfen der Stadt, mit jedem Zug bei Tag und Nacht aus allen Reichen und Ländern Menschen gefahren, westliche, östliche, russische, türkische Juden, aus allen Provinzen und kleinen Städten stürmten sie plötzlich herbei, den Schreck der Nachricht noch im Gesicht; niemals spürte man deutlicher, was früher das Gestreite und Gerede unsichtbar gemacht, daß hier einer großen Bewegung der Führer gefallen war. Es war ein endloser Zug. Mit einmal merkte Wien, daß hier nicht nur ein Feuilletonist gestorben war, ein Schriftsteller oder mittlerer Dichter, sondern einer jener Gestalter von Ideen, wie sie in einem Land, in einem Volk nur in ungeheuren Intervallen sich sieghaft erheben. Am Friedhof entstand ein Tumult, zu viele strömten plötzlich zu seinem Sarge, weinend, heulend, schreiend in einer wild explodierenden Verzweiflung, es wurde ein Toben, ein Wüten fast; alle Ordnung war zerbrochen durch eine Art elementarer und ekstatischer Trauer, wie ich sie niemals vordem und nachher bei einem Begräbnis gesehen: und an diesem ungeheuren, aus der Tiefe eines ganzen Millionenvolkes stoßhaft aufstürmenden Schmerz konnte ich zum erstenmal ermessen, wieviel Leidenschaft und Hoffnung dieser einzelne und einsame Mensch durch die Gewalt eines einzigen Gedankens in die Welt getragen.“

Zweig ist stets bemüht das Gute, Kräftige, Nützliche, Vorbildliche in den Personen zu schildern, seine Rede über Freud wirft ein ganz anderes Licht auf diesen Vater der Psychoanalyse, den Zweig für die Entdeckung der Seele nicht hochgenug preisen kann. Aus materialistischer Sicht betrachtet ist es sicher ein großer Gewinn, wenn man die Seele, den inneren Menschen neu erkennt! Leider blieb hier der noch wichtigere Schritt, den Erhalter der Seele zu erkennen, aus. Manchmal sind die Farben der Schilderungen sicherlich etwas überzeichnet und triumphalistisch (Zweig würde wohl sagen „idealistisch“). Am selbstkritischsten ließt sich Zweig in der Schilderung des Studenten Otto Weininger, – die Schilderung trägt den Untertitel „Vorbeigehen an einem unauffälligen Menschen“. Dieses immer vorangetriebene hohe Ideal dürfte es sein, an dem Zweig letzendlich selber zerbrach, als er in den Unruhen des zweiten Weltkriegs seine Welt brennen sah und als Flüchtling gleich auf seiner ersten Station Selbstmord beging.

Der Text über Walther Rathenau ist ein würdiger Abschluss für dieses Werk. Rathenaus Begabungen waren mir bis dahin nicht bekannt. ein jüdischer Deutscher, wohlhabender Industriellensohn, Chemiker, Halter mehrerer Patente, Dichter, Poet, weitreichender Autor, Fähig flüssig in Englisch, Italienisch und Französich zu kommunizieren, und heute vor allem als tragischer Reichsaußenminister bekannt. – Zweig trifft ihn mehrmals persönlich und ist tief beeindruckt: „Nichts hat mich mehr an ihm erstaunt als die geniale Organisation seines äußeren Lebens, während solcher Vielfalt der Interessen, dieses Freisein und Zeit-haben für Alles und Jedes bei unerhörtester Tätigkeit. Es war mein stärkster Eindruck, als ich ihn zum erstenmal sah, mein stärkster, als ich ihn das letztemal sah. Das erstemal – vor mehr als fünfzehn Jahren –, als ich nach längerer brieflicher Bekanntschaft ihn in Berlin anrief, sagte er mir am Telefon, er reise am nächsten Morgen für drei Monate nach Südafrika. Ich wollte natürlich sofort auf den doch gänzlich gelegentlichen Besuch verzichten, aber er hatte inzwischen schon zu Ende kalkuliert, die Stunden gezählt und bat mich, um 1/4 12 Uhr nachts zu ihm kommen, wir könnten dort zwei Stunden angenehm verplaudern. Und wir sprachen zwei und drei Stunden: nichts deutete auf irgendeine Spannung, auf eine Unruhe knapp vor einer Dreimonatsreise in einen andern Erdteil an. Sein Tag war eingeteilt, dem Schlaf sowie dem Gespräch ein gewisses Maß zugewiesen, das er voll erfüllte mit seiner leidenschaftlichen und unendlich anregenden Rede. Und so war es immer: man mochte kommen, wann man wollte, dieser tätigste Mensch hatte für den gelegentlichsten Menschen Zeit bei Tag und bei Nacht, es gab für ihn kein unerfülltes Versprechen, keine unerledigten Briefe, keinen vergessenen Anlaß im Tumult seiner Tätigkeit, und mit genau derselben bewundernden Stärke wie das erstemal habe ich dieses Genie seiner Lebensorganisation bei der letzten Begegnung gespürt“. Die Schilderung Rathenaus ist ein hilfreiches Korrektiv für die heutige Ignoranz gegenüber der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Um bei Rathenau zu bleiben- prophetisch korrekt deutet Zweig den Märtyrertods Rathenaus (Der Text erschien 1922!):

„Die dummen Jungen, die mit ihrer eingepeitschten Hinterhaltsheldentat dem deutschen Geiste zu dienen meinten, waren unbewußt im Einklang mit dem tiefsten Sinn seines Schicksals, denn nur durch das Hingeopfertsein ward das Opfer sichtbar, das Walther Rathenau auf sich genommen hatte. Aber vielleicht ist die Nation mehr um diesen Tod zu bedauern als er selbst. Welthistorische Gestalten soll man nicht sentimentalisch sehen und nicht ihnen langgemächliches Leben und umhüteten Bettod wünschen wie braven bürgerlichen Familienvätern: ihr wahres Schicksal ist nicht das persönliche, sondern das historische, das zeitlos bildsame, und das liegt in wenigen großen Augenblicken beschlossen. Das Höchste, das solchen Naturen verstattet ist, bleibt immer im Sinne Schopenhauers ein heroischer Lebenslauf. Rathenau hat diese letzte, diese höchste Lebensform eben durch seinen Tod erreicht: eine Stunde Weltwirken nur war ihm gegeben, die hat er groß genützt, und ein Beispiel steht nun dauernd an der Stelle, wo flüchtig, allzuflüchtig seine irdische Gestalt gestanden“

Das Buch ist ein großer Gewinn für jeden, der Zweig at his best in Kombination mit interessanten Biographien lesen möchte. – Zu weiteren biographischen Texten von Zweig werde ich unbedingt greifen!

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