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Gibt es das Ganze ohne seine Teile?

Gelegentlich erreicht das, was gut gemeint ist, den gegenteiligen Effekt. Der Aufruf „den roten Faden“ der ganzen biblischen Erzählung zu erkennen ist häufig, und kommt z.B. bei Kinderbibeln vor. Als Beispiel wählen wir „Die größte Geschichte“ von DeYoung, über die Randy Alcorn schreibt: „»Viele Kinderbibeln bieten Perlen ohne eine Schnur an. Dieses Buch fädelt die Perlen auf eine Schnur – und zwar die richtige“. Der Gedanke ist wie gesagt zunächst zu begrüßen: Man kann die Lebensläufe von Abraham, Isaak, Joseph und Mose kennen, ohne die Botschaft des Evangeliums in all diesen Geschichten zu hören oder wahrzunehmen.

Und doch scheint es mir, dass der Ansatz, nun „die eigentliche Geschichte“ zu erzählen, nicht dazu führen wird, dass die Kenntnis der Bibel (und ihrer Kernbotschaft!) in unserem Umfeld zunehmen wird. Mir ist das beim Hören einer Folge von „Help Me Teach the bible“ klar geworden, als N. Guthrie den Theologen Graeme Goldsworthy interviewt hat. Dieser ist bekannt für sein Bemühen, einige Werke über Biblische Theologie veröffentlicht zu haben. Relativ zu Beginn des Interviews sprechen Goldsworthy und Guthrie ungewöhnlich kritisch darüber, wie „schlecht ausgebildetes“ Personal in der Sonntagsschule dazu geführt hat, dass zwar jeder die vielen biblischen Geschichten kannte, niemand aber auf den Roten Faden in diesen Geschichten hinwies, auf den „bibles basic plot“.

Wie gesagt, obwohl als Kritik berechtigt, ist die formulierte These zu gefährlich nah an einer anderen, nämlich dieser: „All diese Geschichten brauchst du nicht zu wissen, und sie sind auch unrelevant, um die eigentliche Geschichte vom Evangelium von Jesus Christus zu verstehen.“ Und während man sich verspricht, dass die Leute nun auf das Evangelium achten werden, werden sie weder das Evangelium kennen noch auf die historische Erzählung lauschen.

Das es in den Geschichten von Elisa und Elia schwer ist, den Zusammenhang zum Evangelium von Jesus zu sehen ist, ist eine Sache, aber es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass es Gott für wichtig hielt, uns diese Erzählungen zu geben, und, um biblisch theologisch weiter zu argumentieren, uns die Bibel Jesus als den neuen besseren Elisa zeichnet, der wie Elisa seinen Vorgänger in Form vom Johannes dem Täufer hatte (den neuen Elia). Interessanterweise schaffen es aber gerade die Kinderbibeln, die sich vornehmen nun den roten Faden in den alttestamentlichen Geschichten aufzuzeigen, auf eine ganze Menge Erzählungen gar nicht mehr einzugehen. Und gerade die Erzählungen, von denen man sich fragen würde, wie man von denen eigentlich zum Kreuz gelangt, werden häufig gar nicht in diesen Werken besprochen. Das gilt für „Die größte Geschichte“ ähnlich wie für „Gottes einzigartige Geschichte„. Denn wie man von der Opferung Isaaks Spuren zum Kreuz zieht, da komme ich noch klar damit, doch wie mache ich das mit den prophetischen Texten, mit den vielen Richter- und Königserzählungen?

Bevor ich diese Kinderbibeln zu sehr kritisiere: Das Konzept, die „Spuren zum Kreuz in den biblischen Erzählungen“ zu suchen, ist generell zu begrüßen und ich hoffe, dass diese und weitere Bücher für viele Eltern zum Segen werden. Ich möchte mit meinem Artikel nur der Besorgnis Ausdruck verleihen, dass die Geschichte an sich an Wert verliert. Gott hat nun mal alles, auch das Evangelium, auch die Tat Christi in Raum und Zeit, in einer bestimmten Kultur, unter einem bestimmten Volk mit bestimmten Bräuchen usw. stattfinden lassen. Keine Geschichte besteht einfach so abstrakt für sich. Somit ist jedes Detail auch von Bedeutung.

Das ist schon die nächste Kritik an einer Überbetonung „des roten Fadens“: In einer häufig berechtigten Sorge die Erzählungen zu überinterpretieren oder mit einem falschen Schwerpunkt weiterzugeben, besteht die Tendenz, Details der Erzählungen, die in allen biblischen Erzählungen vorhanden sind, geringzureden. Dieses Opfer dürfen wir nicht bringen, wenn wir den Reichtum der Bibel weitergeben wollen. Aus diesem Grund bevorzuge ich Kinderbibeln, die auch sehr viele Details und Hintergrundinformationen weitergeben. Ein geeignetes Gegenstück zu den oben genannten Kinderbibeln dürfte die „Große illustrierte Kinderbibel“ von DK sein.

Es fällt auf, dass der Ansatz der ganzheitlichen Kinderbibel eher von reformierten Autoren ausgeht. Doch scheint mir ihre Vorgehensweise hier widersprüchlich zu sein: Auf der einen Seite sieht man das Evangelium in jeder Geschichte: der Herr der Ringe ist nur eine große Metapher mit unendlich vielen Pfaden zum Kreuz! Das gilt eigentlich für jede Erzählung, jeden Film! Es fällt auf, dass man kaum überhaupt etwas erzählen kann, ohne dass alles nach „Jesus schreit“. Das man diese Pfade nun nicht auch in der Bibel suchen möchte, wundert mich dann doch ein Stückchen. Man möchte fast fragen, was ein Kind, dass irgendwann selbstständig anfängt die Bibel zu lesen, machen wird, wenn es all die (blutigen, irritierenden, schweren) Details erfährt, von denen ihm nie jemand etwas gesagt hat!

Es kann passieren, dass jemand uns die Geschichten von Mose, Josua und Ruth so weitergibt, dass man sich fragt, was hat all das eigentlich mit Jesus oder mit mir zu tun? Und doch hätten wir dann wenigstens eine Vertrautheit und Bekanntheit mit dem biblischen Text. Dieser Weg ist meines Erachtens vor einem oberflächlichen Verweis auf „Spuren zum Kreuz“ zu bevorzugen. Das Ganze ist somit immer mehr als die Summe seiner Teile. Aber das Ganze gibt es nicht OHNE seine Teile.

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