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„Bedenken Sie, dass Orthodoxie nicht das gleiche ist, wie fähige und weise Fürsorge“

Edward T. Welch ist Theologe und Dozent am CCEF (Christian Counseling & Educational Foundation). Er promovierte im Bereich der Neuropsychologie an der University of Utah. Er ist seit bereits mehr als 30 Jahren als Seelsorger tätig und ist Autor zahlreicher Werke über biblische Seelsorge, von denen viele auch ins Deutsche übersetzt wurden. Ed Welch stand unseren freundlicherweise Fragen Rede und Antwort.

S.P.: Sehr geehrter Herr Welch, vielen Dank für die Möglichkeit eines Interviews mit Ihnen.

E.W.: Auch von meiner Seite Danke für die Möglichkeit. Sie bewirken, dass ich meine deutschen Freunde vermisse und mich an die angenehme und erbauende Zeit erinnere, die ich in Ihrem Land verbracht habe.

S.P.: Welche Gründe bewegten Sie, Seelsorger zu werden?

E.W.: Ich glaube jeder Christ würde biblische Seelsorge lieben, wenn er sie kennen würde. Beharrlich mehr von der Schrift zu lernen und die Gelegenheit zu haben, sich um andere Menschen zu kümmern und für sie zu beten – was kann es Besseres geben? Ich selbst wuchs in einem christlichen Heim auf. Ich glaubte, dass Jesus das war, was er von sich behauptete, doch ich wollte ihm nicht folgen. Doch der Geist Gottes hielt mich gnädiglich fest, als ich gerade mein Studium beendet hatte. Ich wurde durch das Lesen der Bibel bekehrt und entschloss mich, meine anderen Studienpläne zur Seite zu legen und ein theologisches Seminar zu besuchen. Dort war es auch (1976 – man, ich werde alt!) als ich pastorale Seelsorge-Kurse belegte. Es war für mich faszinierend wie die Schrift in die Details des täglichen Lebens sprechen konnte. Ich fing damals an, die biblische Seelsorgearbeit am CCEF zu beobachten, die damals gerade erst anfing. Damals dachte ich, dass ich Biblische Seelsorge praktizieren würde, wenn ich die Gelegenheit dazu bekommen sollte. Nach meiner Promotion kam ich an das CCEF und verließ es nicht mehr.

S.P.: Was waren die Personen, die ihr Verständnis als Seelsorger, Lehrer und Autor geprägt haben?

E.W.: John Grauley war mein Mentor am Seminar – ein freundlicher und weiser Mensch. John Bettler war der Direktor am CCEF, als ich dort anfing. Er war immer geduldig mit mir und ich lernte viel von seinen Predigten und Lehren. Er hat den Ton der biblischen Seelsorge bedeutend geprägt. Sie wurde weniger konfrontativ und verwies beharrlich darauf, dass die Bibel mehr ist und tiefer reicht. Jack Miller war mein Pastor und konnte in einer Weise von Jesus sprechen, die überwältigend war. Er förderte mein Interesse an biblischer Theologie. Daher kommt es, dass biblische Seelsorge persönlicher und beziehungsorientierter wurde. Ich habe großartige Kollegen gehabt, insbesondere David Powlison, mit dem ich beinahe 40 Jahre, bis zu seinem Tod letztes Jahr, zusammengearbeitet habe. Weiterlesen

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„Wenn auch unser äußerer Mensch zugrunde geht…“

„Darum lassen wir uns nicht entmutigen; sondern wenn auch unser äußerer Mensch zugrunde geht, so wird doch der innere Tag für Tag erneuert“ („2. Kor 4,16). Das lesen der Bücher von Welch oder Powlison erinnert mich regelmäßig an die Puritaner. Warum? Ähnlich wie die Puritaner kreisen diese sehr lange und intensiv um einzelne wenige Bibelabschnitte. Etwas was ich zunächst als lästig und überflüssig empfand, empfinde ich nun zunehmend als hilfreich. Warum? Weil es mir hilft in ersten überwältigenden Situationen den Überblick zu behalten und einen Startpunkt zu haben: Es kommt jemand auf dich zu und überschüttet dich mit einer Notsituation, z.B. den Bericht über ADHS. In Kürze kommen eine Menge vielschichtiger Probleme auf einen zu, so dass man kaum noch klar sehen kann. Sich in einer solchen Situation an eine Schriftstelle festhalten zu können, ist wie die Eroberung eines Stückchen „Linsenfeld“ (2. Sam. 23,11) in all dem Chaos.

Dabei bietet das Buch von Welch weitreichende Hilfe für sehr unterschiedliche Situationen. Vor allem seine konsequente Verteidigung der biblischen Dichotomie dürfte eine notwendige Handreichung sein. Die Unterscheidung zwischen körperlichen Gebrechen und der Sünde des Herzens hält der Autor konsequent durch:

„Was ist mit anderen Symptomen, wie zum Beispiel Halluzinationen? Offenbaren sie ein geistiges Problem, ein körperliches Problem oder gar beides? Um diese Frage zu beantworten, wenden Sie einfach einen Test an: Verbietet die Bibel Halluzinationen? Die klare Antwort ist: Nein. Deswegen verurteilen wir diese Menschen nicht, sondern drücken ihnen unser Mitgefühl aus. Selbst wenn einige durch ihre Halluzinationen in Sünde fallen oder die Halluzination durch Sünde, etwa das Einnehmen von Drogen, entstanden ist: Halluzinationen für sich genommen sind keine Sünde. Sie sind Ergebnis einer körperlichen Schwäche“ (S. 39)

Warum erschrecken wir als Christen oft mehr vor der Halluzination (oder ähnlich: Schizophrenie) mehr, als vor der Hilfsbedürftigen des Menschen. Ich fürchte Schizophreniker wird man in konservativen Kreisen selten mit dem Kreuz Christi trösten, sondern diesen eher sogar die Taufe versagen und sie erstmal in einen Exorzismus-Zyklus führen. Auch dabei dürfte die Ursache darin liegen, dass man nicht zwischen Sünde (des Herzens) und Schwäche (des Leibes) unterscheidet.

Welch bespricht in seinem Buch unterschiedliche Kategorien sogenannter zerebraler Probleme aus Sicht der Bibel. Diese unterscheidet er in drei Kategorien: Klare Fehlfunktion des Gehrns (Alzheimer, Demenz und Kopfverletzungen), Mögliche Fehlfunktion des Gehirns (Depressionen und ADS/ADHS) und keine Fehlfunktion des Gehirns (Homosexualität und Alkoholismus). Im Umgang mit Menschen, die von einer klaren Fehlfunktion des Gehirns betroffen sind, habe ich mich dabei ertappt, dass ich nicht bereit bin, mit der nötigen Rücksicht auf solche Leute zu zugehen. Ich würde davon ausgehen, dass ich kein weiteres Material, keine weitere Unterstützung benötigen würde, um z.b. mit einem Demenz-Kranken klar zukommen. Diese vermeintliche Sicherheit ist aber eher auf Selbstüberschätzung zurückzuführen.

Das Buch ist von zahlreichen Praxis-Beispielen durchzogen. Beeindruckt hat mich, wie die beschriebenen Folgen nach einer Kopfverletzung nahezu genau so auch in unserem fernen Freundeskreis erlebt wurden. Diese herausfordernden Situationen benötigen viel Unterstützung, auch von Gemeinde und Verwandten und Freunden. Man sollte nicht einfach so weitermachen wie bisher.

In einem anderen Fall beschreibt Welch sehr eindrücklich, wie eine von Depressionen betroffene Schwester sich an diesen festklammerte, weil sie ihre Art der Selbstsühne waren. In solchen Momenten wird der Kampfplatz des Herzens in besonderer Weise offen gelegt. In einem anderen Fall ist der Verweis auf eine Aufmerksamkeitsstörung ein angenehmes Mittel der Selbstrechtfertigung. Reagiert man hier nur mit biologischen Lösungen, wird weder die eigentliche Not der Betroffenen gelöst, noch wirklich der Heiligung nachgejagt (Man erinnert sich wieder an die obige Bibelstelle). Ausgewogenheit ist gefordert:

Es ist ein Unterschied, ob Sie ihrem Kind sagen: „Räum dein Zimmer auf!“ oder „Schlag deinen Bruder nicht!“ Das Kind hat ein Gewissen und weiß intuitiv, dass es andere auch in seiner Wut nicht schlagen darf. Solches Verhalten ist sogar dann noch falsch, wenn die Eltern nicht sagen: „Schlag ihn nicht!“ Aber das Kind hat kein Gewissen, das ihm sagt, es sei moralisch verwerflich, ein unaufgeräumtes Zimmer zu hinterlassen. Eigentlich ist das unaufgeräumte Zimmer eine Verletzung des Gebotes, seinen Eltern zu gehorchen, doch in manchen Fällen ist Ungehorsam nicht die passende biblische Kategorie. Verständnis für das Herz des Kindes könnte auf eine körperliche Beschränkung (zum Beispiel Gedächtnisprobleme) oder Unwissenheit hinweisen und nicht auf geistliche Rebellion. Es gibt keine Entschuldigung für Sünde wie Wut und liebloses Verhalten, aber manchmal gibt es eine Entschuldigung für ein nicht aufgeräumtes Zimmer.“ (S. 124)

In ähnlicher Weise warnt Welch davor, Homosexuelle mit oberflächlichen Antworten abzuspeisen:

„Die Homosexuellen sind in einer heiklen Position: Sie lehnen sich gegen den heiligen Gott auf, aber ihnen ist in gewisser Weise bewusst, dass sie in Sünde leben und sie haben Angst vor Gottes Zorn (Röm 1.).  Sie glauben nicht, dass Gott sich dazu bringen lässt, ihnen wirklich zu vergeben. (…) Es gibt keinen wichtigeren Faktor in der Veränderung eines Homosexuellen als den sicheren Glauben, dass ihre oder seine Sünde von der tiefsten Wurzel an vergeben worden sind.“ (S.156)

Trotz der derart unterschiedlichen Themen ist es Welch gelungen, diese eng zusammenzuhalten. Die Antworten auf all diese Fragen ist immer noch nicht einfach, aber es gibt sie: „Sie sind vorhanden, wenn wir tiefer in der Schrift graben und versuchen, neue Anwendungen für alte Wahrheiten zu entwickeln. Eine liegt uns seit Jahren vor: Wir sind als Einheit von Geist und Körper geschaffen. Ihre Anwendung hat schlicht auf diese und ähnliche Fragen gewartet.“ (S.183).

Es verwundert entsprechend nicht, dass die deutsche Übersetzung dieses Werkes bereits in vierter Auflage vorliegt.