Alle Artikel in der Kategorie “Seelsorge

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„Lasset eure Bitte im Gebet vor Gott kundwerden“

In meiner Bibliothek findet sich schon länger ein Band mit dem Titel „Seelsorge“ vom bekannten Liederdichter und Pfarrer der württembergischen Erweckungsbewegung Johann Christoph Blumhardt. Tatsächlich habe ich mich bisher gescheut zu diesem Band zu greifen, weil ich eine „inflationäre Verwendung schönfärberischer Adjektive“, Sentimentale Nostalgie oder überschwengliche Begeisterung fürchtete. Aber Blumhardt redet Klartext, ist super verständlich und behält doch eine gewisse Poesie in seinem Schreibstil bei. Ein Auszug aus vielen sehr guten Gedanken zum Thema Gebet:

„Nun heißt es aber weiter: Lasset eure Bitte im Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden. Das ist ein schönes Wort. Es gibt oft Leute, die beten so, als ob der liebe Gott doch nichts nach ihnen frage und sie im Stich ließe, daher mögen sie keine besonderen Bitten mehr aussprechen und noch viel weniger eine Danksagung kundwerden lassen. Das ist aber eine böse Sache, wenn der Herr nie hören darf, Er habe einem auch schon viel Gutes getan und wunderbar geholfen. Wenn die Wohltaten Gottes übersehen werden vor lauter Bitten und Seufzen und Schreien, so gefällt das dem Heiland nicht. Es ist gerade so, wie wenn jemand, dem ich schon oft geholfen habe, mich immer wieder so verzweifelt anbettelt, als hätte ich ihm noch nie etwas Gutes getan; das tut einem weh; und so dürfen wir uns auch wohl dessen dankbar erinnern, was der Herr uns schon Gutes getan hat. Unter dem Danken wird es einem leicht, unter dem Danken kann man erst recht bitten. Es gibt einfältige Leute, besonders Kinder, an denen kann man viel lernen, wie man bitten und wie man danken soll. Wenn die kleinen Kinder beten, da können sie im Augenblick, wo sie anfangen, schon denken, der Heiland sie, da, und wenn sie Ihm sagen: Bitte, tue das! so wisse Er es jetzt und habe es gehört und sind glückselig. Ein Kind kann sich auch etwas abschlagen lassen und kommt das nächste Mal doch wieder zum Vater und bittet und erwartet etwas vom Vater. Aber die großen Leute, die tun immer, als wenn der liebe Gott doch nicht hörte, sie glauben nicht, und darum kommt es auch nie zu einer Danksagung. Warum? Sie stellen sich beim Beten nicht vor Gottes Angesicht; der Heiland ist ihnen nicht klar vor Augen, sonst müßten sie schon nach dem ersten Sätzchen, nach der ersten Bite sich beruhigt fühlen, im Gedanken: ich habe mein Angeliegen jetzt an den rechten Ort gelegt, jetzt wird der Heiland die Sache in die Hand nehmen und für mich sorgen.“


Aus J.C. Blumhardt, Seelsorge.

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„Bedenken Sie, dass Orthodoxie nicht das gleiche ist, wie fähige und weise Fürsorge“

Edward T. Welch ist Theologe und Dozent am CCEF (Christian Counseling & Educational Foundation). Er promovierte im Bereich der Neuropsychologie an der University of Utah. Er ist seit bereits mehr als 30 Jahren als Seelsorger tätig und ist Autor zahlreicher Werke über biblische Seelsorge, von denen viele auch ins Deutsche übersetzt wurden. Ed Welch stand unseren freundlicherweise Fragen Rede und Antwort.

S.P.: Sehr geehrter Herr Welch, vielen Dank für die Möglichkeit eines Interviews mit Ihnen.

E.W.: Auch von meiner Seite Danke für die Möglichkeit. Sie bewirken, dass ich meine deutschen Freunde vermisse und mich an die angenehme und erbauende Zeit erinnere, die ich in Ihrem Land verbracht habe.

S.P.: Welche Gründe bewegten Sie, Seelsorger zu werden?

E.W.: Ich glaube jeder Christ würde biblische Seelsorge lieben, wenn er sie kennen würde. Beharrlich mehr von der Schrift zu lernen und die Gelegenheit zu haben, sich um andere Menschen zu kümmern und für sie zu beten – was kann es Besseres geben? Ich selbst wuchs in einem christlichen Heim auf. Ich glaubte, dass Jesus das war, was er von sich behauptete, doch ich wollte ihm nicht folgen. Doch der Geist Gottes hielt mich gnädiglich fest, als ich gerade mein Studium beendet hatte. Ich wurde durch das Lesen der Bibel bekehrt und entschloss mich, meine anderen Studienpläne zur Seite zu legen und ein theologisches Seminar zu besuchen. Dort war es auch (1976 – man, ich werde alt!) als ich pastorale Seelsorge-Kurse belegte. Es war für mich faszinierend wie die Schrift in die Details des täglichen Lebens sprechen konnte. Ich fing damals an, die biblische Seelsorgearbeit am CCEF zu beobachten, die damals gerade erst anfing. Damals dachte ich, dass ich Biblische Seelsorge praktizieren würde, wenn ich die Gelegenheit dazu bekommen sollte. Nach meiner Promotion kam ich an das CCEF und verließ es nicht mehr.

S.P.: Was waren die Personen, die ihr Verständnis als Seelsorger, Lehrer und Autor geprägt haben?

E.W.: John Grauley war mein Mentor am Seminar – ein freundlicher und weiser Mensch. John Bettler war der Direktor am CCEF, als ich dort anfing. Er war immer geduldig mit mir und ich lernte viel von seinen Predigten und Lehren. Er hat den Ton der biblischen Seelsorge bedeutend geprägt. Sie wurde weniger konfrontativ und verwies beharrlich darauf, dass die Bibel mehr ist und tiefer reicht. Jack Miller war mein Pastor und konnte in einer Weise von Jesus sprechen, die überwältigend war. Er förderte mein Interesse an biblischer Theologie. Daher kommt es, dass biblische Seelsorge persönlicher und beziehungsorientierter wurde. Ich habe großartige Kollegen gehabt, insbesondere David Powlison, mit dem ich beinahe 40 Jahre, bis zu seinem Tod letztes Jahr, zusammengearbeitet habe. Weiterlesen

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Von Prinzessinnen, Prinzen und ihren Untertanen

Was für ein herausfordernder Titel! Ich besitze das Vorrecht, Beat Tanner persönlich zu kennen, einen Menschen, der sich vor allem durch Freundlichkeit und Mitgefühl auszeichnet. Das er aber auch klare Töne finden kann, hat er nun mit diesem handlichen Ratgeber bewiesen. Gibt es aber nicht Erziehungsratgeber, auch christliche, in Hülle und Fülle? Sind wir nicht schon müssig geworden, die nächste neue Erziehungsmethode auszuprobieren? Tanners Büchlein erweist sich vor allem deswegen als erfrischend, weil es wieder ganz zurück, an den Anfang und Ursprung der Schrift führt. Die Lösung, die das Buch für das Gesellschaftsphänomen Machtumkehr (zwischen Eltern und Kindern) anbietet, liegt in einer ausführlichen Besprechung von Eph. 6,1-4. Kreisend entwickelt der Autor einen neuen Zugang zu diesen so altbekannten aber wenig beachteten Versen. Wie oft hält man diese Stelle für veraltet, und meint im grenzenlosen Wünscheerfüllen und Verwöhnen der Kinder einen besseren (und einfacheren) Weg für die Erziehung gefunden zu haben? Ich musste mich beim Lesen so oft an die eigene Nase packen, dass sie rot wurde. Was bei den Kleinsten noch als kontrollierbar erscheint, nimmt schnell unerwartete Formen an. Der Autor berichtet:

„Eltern erzählen mir von ihren erst achtjährigen Kindern, die sie mit Suizidandrohungen erpressen. Ich erinnere mich an einen elfjährigen Jungen, der sich ein Messer an den Hals setzte und seine Mutter anschrie: „Du machst nicht, was ich will! Darum bringe ich mich um! (S. 12 f.)“ Weiterlesen

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Entlarve die Schönheitslüge

Ivill: Nie gut genug – Über Aussehen und AnerkennungDie sozialen Medien befeuern es, die Peergroup fordert es und der Einzelne glaubt es: Schönheit ist alles. An einem ansprechenden Aussehen ist ja grundsätzlich nichts falsch, wenn aber das Schönheitsideal zum Götzen wird, bestimmt der Zeitgeist uns mehr als wir meinen. Sarah Ivill, Schreiberin, Leiterin und Autorin von Bibelstudien für Frauen, bringt es in ihrem Werk „Nie gut genug“ auf den Punkt, wenn sie meint, dass Aussehen und Anerkennung eine der größten Lügen unserer Zeit darstellen.

„Zu dem Thema Körperwahrnehmung und Erfolg lässt die Autorin uns in diesem Buch teilhaben an ihrem persönlichen Kampf mit der Abhängigkeit von Schlankheit/Ernährung und Fitness sowie Anerkennung. Es geht darum die falschen Identitäten zu enttarnen, denen wir uns zuwenden, wenn wir nach Identität und Selbstwert suchen – mit anderen Worten: die Lügen, die wir über uns selbst glauben, und die Art und Weise, wie diese uns in ihren Strudel ziehen. Dabei deckt sie fünf geläufige Lügen auf, denen man nur allzu schnell Glauben schenkt, und führt zurück zu unserer Annahme in Christus, wo die wahre Lösung in unserem Streben nach Schönheit und Erfolg zu finden ist.“  ….

weiterlesen auf lesendglauben.de

 

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Mit Christus zu Christus gehen…

Auf  glaubend.de berichte ich über meine Erfahrungen mit der Seeslsorgeausbildung bei der Christlichen Fachstelle für Ehe, Familie und Lebensberatung in Aarau. Ich wünschte ich könnte deutlicher schildern, wie ich von dieser Ausbildung und von den Kontakten mit Beat Tanner profitiert habe und weiterhin profitiere.

An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf dieses Video von Beat Tanner hinweisen, mit dem er die Ziele der Ausbildung erklärt:

Wer meinen Artikel lesen möchte, findet diesen hier: „Welchen Rat kann ich meinem Bruder, meiner Schwester in ihrer Not, ihrer Angst und ihrer Sorge geben. Wie kann dieser Rat wirklich weise sein und Liebe und Wahrheit vermitteln? Was muss ich an mir ändern, damit ich besser auf Christus hinweisen kann? Wie kann ich meinen Bruder besser verstehen? Wie kann ich zwischen Sünde und Scham unterschieden? Wie kann ich Strategien entwickeln, um auch mit einem sehr beunruhigten Menschen ins Gespräch über das Wort Gottes zu kommen? Das sind nur einige der Themen, die ausführlich einschließlich persönlichem Mentoring und zusätzlicher Vorbereitungslektüre im Laufe von zwei Jahren besprochen werden…“

Auch Hanniel hat übrigens vor einiger Zeit über diese Ausbildung berichtet.

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Die kleine Seelsorgereihe

Wer das CCEF auch nur oberflächlich verfolgt, erfährt welch großartige Arbeit Welch, Tripp und bis zu seinem viel zu frühen Tod Powlison im Bereich der Seelsorge geleistet haben. Gott gab ihnen Gnade, dass Seelsorge wieder zum Dienst der Gemeinde an ihren Gliedern, zur Hilfe von Christ am Mitchrist wird. Vor allem, die Neuentdeckung des Kampfplatz des Herzens dürfte reformierte Theologie in einer feinfühligen Anwendung sein. Praktisch bedeutet es, dass man Leidende, Trauernde, Depressive, Schizophrene, Pornosüchtige, Menschen mit Wahnvorstellungen, Ängsten, Zwängen und aller Nöte, die es sonst geben kann, zum Kreuz Christi führt und nicht einfach nur mit bloßen Plattitüden abspeist oder was noch schlimmer wäre, denke, dass ein Verweis auf einen Nervenarzt bereits der vollständige Akt christlicher Nächstenliebe sei. Tatsache ist: Wird man mit Leiden unserer Geschwister und Freunde konfrontiert, dann liegt zwar tatsächlich ein schneller Rat auf der Zunge, im Sinne von: „Stell dich nicht so an!“, „Oh, du Arme!“, „Mach doch einfach das und das….“, „So schlimm ist das nicht, habe ich auch gehabt“. Doch genau solche Ratschläge erteilt dir schließlich auch jeder beliebige Mensch, denn du zufällig aus dem Telefonbuch wählen würdest. Das es besser gehen muss, wird schnell klar. Mit der zahlreichen Literatur, die der 3L Verlag schon seit Jahren in diesem Bereich herausgibt, ist bereits gutes Material gegeben. Mit der kleinen Seelsorgereihe ist nun weiteres interessantes Material dazugekommen: 24 Heftchen, die sich auch gut als Verteil- oder Auslegematerial für Beratungsstellen und Gemeinden eignen. Ich habe ein paar gelesen:

  • Pornografie – Sieg über den Drachen: Dieses Heftchen eignet sich sehr gut, zur Weitergabe, an Betroffene, da es ein Interview zwischen Powlison und einem Bruder ist, der über 20 Jahre lang mit der Pornographie kämpfte. Sehr ehrlich und ergreifend schildert der Bruder, wie Gott sein böses Herz enttarnte
  • Heilung nach Ehebruch: Sowohl der Täter, wie das Opfer benötigen Erlösung, um nicht in Gier, Unzufriedenheit, Schuld, Verzweiflung, Scham oder Rache unterzugehen.
  • Häusliche Gewalt: Die Situation ist verzwickt: „Paare, die in der Öffentlichkeit friedlich zusammen auf den Kirchenbänken sitzen, könnten trotzdem im Streit miteinander liegen. (….) bei dieser Art Krieg finden wir auf beiden Seiten Schuld; doch wenn Gewalt im Spiel ist, unterdrückt üblicherweise der stärkere Mann seine Frau“. Das Buch deckt die verzwickten Irrwege der Selbstrechtfertigung im Denken des Aggressors geschickt auf.
  • Eine Traumehe: „Hören Sie auf mir zu sagen, dass Gott mich liebt! Ich will hören, dass mein Mann mich liebt“ gestand eine Frau dem Seelsorger. Auch in einer kaputten Ehe kann man Freude finden.
  • Teens und Sex: Tripp deckt zurecht auf, dass die Kirche hier versagt, dem starken säkularen Sog entgegenzutreten und bespricht in Kürze zahlreiche Strategien zum Einleiten von Gegenmaßnahmen.

Ein Heft ist in etwas mehr als einer halben Stunde durchgearbeitet und somit eignen sich diese Hefte sehr gut als „Gute-Nacht-Lektüre“ vor dem Schlafengehen. Die Auswahl und Bandbreite ist zudem für vielfältige Lebensbereiche (z.B.: Leid, ADHS, Selbstverletzung, Vergebung…) ausgelegt, was die Bücher sehr nützlich macht. Ich vermisse einen (entsprechend kostengünstigeren) Gesamtband, der als eine Art Handbuch der Seelsorge realisiert ist. Dies könnte auch als Logos-Modul erfolgen.

Ein letzter Hinweis: Wenn du dich selbst in einer schwierigen Situation befindest und Rat und Hilfe suchst, ermutige ich dich, dir Unterstützung und Gebet in der Gemeinde und bei Christen zu suchen. Gerne darfst du mich auch unter pauli @ glaubend.de  oder auch auf anderen Wegen kontaktieren.

 

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Neuanfang – von David Powlison

– Im Folgenden eine Rezension von meinem Freund und Bruder Viktor, der mir die Genehmigung erteilt hat, diese Besprechung auch hier zu veröffentlichen. Wie Viktor richtig hinweist, hat das Buch eine weitaus größere Zielgruppe als Opfer sexueller Übergriffe. Für mich persönlich war es in vielen Bereichen eine Hilfestellung – 

Ich möchte in diesem Artikel ein Buch von David Powlison empfehlen, in dem es sowohl um sexuelle Übertretung als auch um das dadurch entstandene Leid geht:

Manche Bücher sind mit der Absicht geschrieben worden, Menschen im Kampf gegen ihre unmoralischen sexuellen Impulse zu helfen. Andere Bücher verfolgen das Ziel, Menschen in ihrem Kampf gegen die Auswirkungen von sexueller Untreue, Belästigung und Gewalt zu helfen. Doch dieses Buch soll bewusst in beide Richtungen blicken. Sünde und Leid sind zwei grundlegend unterschiedliche Dinge. Was Sie tun und was Ihnen geschieht, könnte nicht unterschiedlicher sein. Doch beides vermischt sich in der DNA der menschlichen Natur. Alle menschliche Erfahrung ist von einer Doppelhelix der Finsternis durchzogen. Die meisten Bücher über sexuelle Heiligung behandeln das Problem der Sünde und widmen sich höchstens am Rande den äußeren Kräften, die verlocken oder quälen. Und in den meisten Büchern für Opfer sexueller Gewalt geht es nicht um Heiligung und nur am Rande um unseren instinktiven Unglauben und unseren Impuls, falsch zu reagieren, wenn uns schweres Unrecht angetan wurde. Doch in der Heiligung geht es sowohl um Übertretungen als auch im Leid, sowie um deren permanentes Wechselspiel. Das ist von entscheidender Bedeutung denn es trifft sowohl auf die Bibel wie auf das Leben zu. Seite 17f

Wen betrifft das Thema?

Als ich das Buch zum ersten Mal in der Hand hielt, dachte ich zunächst, dass mich das Thema nicht wirklich betrifft. Doch je mehr ich las, desto mehr wurde mir klar: das Thema berührt auf die eine oder andere Art fast jeden Menschen. Der Kampf spielt sich nämlich auf den verschiedensten Ebenen ab, bei manchen sehr offensichtlich, bei anderen subtiler, fast unbemerkt. Weiterlesen

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„Wenn auch unser äußerer Mensch zugrunde geht…“

„Darum lassen wir uns nicht entmutigen; sondern wenn auch unser äußerer Mensch zugrunde geht, so wird doch der innere Tag für Tag erneuert“ („2. Kor 4,16). Das lesen der Bücher von Welch oder Powlison erinnert mich regelmäßig an die Puritaner. Warum? Ähnlich wie die Puritaner kreisen diese sehr lange und intensiv um einzelne wenige Bibelabschnitte. Etwas was ich zunächst als lästig und überflüssig empfand, empfinde ich nun zunehmend als hilfreich. Warum? Weil es mir hilft in ersten überwältigenden Situationen den Überblick zu behalten und einen Startpunkt zu haben: Es kommt jemand auf dich zu und überschüttet dich mit einer Notsituation, z.B. den Bericht über ADHS. In Kürze kommen eine Menge vielschichtiger Probleme auf einen zu, so dass man kaum noch klar sehen kann. Sich in einer solchen Situation an eine Schriftstelle festhalten zu können, ist wie die Eroberung eines Stückchen „Linsenfeld“ (2. Sam. 23,11) in all dem Chaos.

Dabei bietet das Buch von Welch weitreichende Hilfe für sehr unterschiedliche Situationen. Vor allem seine konsequente Verteidigung der biblischen Dichotomie dürfte eine notwendige Handreichung sein. Die Unterscheidung zwischen körperlichen Gebrechen und der Sünde des Herzens hält der Autor konsequent durch:

„Was ist mit anderen Symptomen, wie zum Beispiel Halluzinationen? Offenbaren sie ein geistiges Problem, ein körperliches Problem oder gar beides? Um diese Frage zu beantworten, wenden Sie einfach einen Test an: Verbietet die Bibel Halluzinationen? Die klare Antwort ist: Nein. Deswegen verurteilen wir diese Menschen nicht, sondern drücken ihnen unser Mitgefühl aus. Selbst wenn einige durch ihre Halluzinationen in Sünde fallen oder die Halluzination durch Sünde, etwa das Einnehmen von Drogen, entstanden ist: Halluzinationen für sich genommen sind keine Sünde. Sie sind Ergebnis einer körperlichen Schwäche“ (S. 39)

Warum erschrecken wir als Christen oft mehr vor der Halluzination (oder ähnlich: Schizophrenie) mehr, als vor der Hilfsbedürftigen des Menschen. Ich fürchte Schizophreniker wird man in konservativen Kreisen selten mit dem Kreuz Christi trösten, sondern diesen eher sogar die Taufe versagen und sie erstmal in einen Exorzismus-Zyklus führen. Auch dabei dürfte die Ursache darin liegen, dass man nicht zwischen Sünde (des Herzens) und Schwäche (des Leibes) unterscheidet.

Welch bespricht in seinem Buch unterschiedliche Kategorien sogenannter zerebraler Probleme aus Sicht der Bibel. Diese unterscheidet er in drei Kategorien: Klare Fehlfunktion des Gehrns (Alzheimer, Demenz und Kopfverletzungen), Mögliche Fehlfunktion des Gehirns (Depressionen und ADS/ADHS) und keine Fehlfunktion des Gehirns (Homosexualität und Alkoholismus). Im Umgang mit Menschen, die von einer klaren Fehlfunktion des Gehirns betroffen sind, habe ich mich dabei ertappt, dass ich nicht bereit bin, mit der nötigen Rücksicht auf solche Leute zu zugehen. Ich würde davon ausgehen, dass ich kein weiteres Material, keine weitere Unterstützung benötigen würde, um z.b. mit einem Demenz-Kranken klar zukommen. Diese vermeintliche Sicherheit ist aber eher auf Selbstüberschätzung zurückzuführen.

Das Buch ist von zahlreichen Praxis-Beispielen durchzogen. Beeindruckt hat mich, wie die beschriebenen Folgen nach einer Kopfverletzung nahezu genau so auch in unserem fernen Freundeskreis erlebt wurden. Diese herausfordernden Situationen benötigen viel Unterstützung, auch von Gemeinde und Verwandten und Freunden. Man sollte nicht einfach so weitermachen wie bisher.

In einem anderen Fall beschreibt Welch sehr eindrücklich, wie eine von Depressionen betroffene Schwester sich an diesen festklammerte, weil sie ihre Art der Selbstsühne waren. In solchen Momenten wird der Kampfplatz des Herzens in besonderer Weise offen gelegt. In einem anderen Fall ist der Verweis auf eine Aufmerksamkeitsstörung ein angenehmes Mittel der Selbstrechtfertigung. Reagiert man hier nur mit biologischen Lösungen, wird weder die eigentliche Not der Betroffenen gelöst, noch wirklich der Heiligung nachgejagt (Man erinnert sich wieder an die obige Bibelstelle). Ausgewogenheit ist gefordert:

Es ist ein Unterschied, ob Sie ihrem Kind sagen: „Räum dein Zimmer auf!“ oder „Schlag deinen Bruder nicht!“ Das Kind hat ein Gewissen und weiß intuitiv, dass es andere auch in seiner Wut nicht schlagen darf. Solches Verhalten ist sogar dann noch falsch, wenn die Eltern nicht sagen: „Schlag ihn nicht!“ Aber das Kind hat kein Gewissen, das ihm sagt, es sei moralisch verwerflich, ein unaufgeräumtes Zimmer zu hinterlassen. Eigentlich ist das unaufgeräumte Zimmer eine Verletzung des Gebotes, seinen Eltern zu gehorchen, doch in manchen Fällen ist Ungehorsam nicht die passende biblische Kategorie. Verständnis für das Herz des Kindes könnte auf eine körperliche Beschränkung (zum Beispiel Gedächtnisprobleme) oder Unwissenheit hinweisen und nicht auf geistliche Rebellion. Es gibt keine Entschuldigung für Sünde wie Wut und liebloses Verhalten, aber manchmal gibt es eine Entschuldigung für ein nicht aufgeräumtes Zimmer.“ (S. 124)

In ähnlicher Weise warnt Welch davor, Homosexuelle mit oberflächlichen Antworten abzuspeisen:

„Die Homosexuellen sind in einer heiklen Position: Sie lehnen sich gegen den heiligen Gott auf, aber ihnen ist in gewisser Weise bewusst, dass sie in Sünde leben und sie haben Angst vor Gottes Zorn (Röm 1.).  Sie glauben nicht, dass Gott sich dazu bringen lässt, ihnen wirklich zu vergeben. (…) Es gibt keinen wichtigeren Faktor in der Veränderung eines Homosexuellen als den sicheren Glauben, dass ihre oder seine Sünde von der tiefsten Wurzel an vergeben worden sind.“ (S.156)

Trotz der derart unterschiedlichen Themen ist es Welch gelungen, diese eng zusammenzuhalten. Die Antworten auf all diese Fragen ist immer noch nicht einfach, aber es gibt sie: „Sie sind vorhanden, wenn wir tiefer in der Schrift graben und versuchen, neue Anwendungen für alte Wahrheiten zu entwickeln. Eine liegt uns seit Jahren vor: Wir sind als Einheit von Geist und Körper geschaffen. Ihre Anwendung hat schlicht auf diese und ähnliche Fragen gewartet.“ (S.183).

Es verwundert entsprechend nicht, dass die deutsche Übersetzung dieses Werkes bereits in vierter Auflage vorliegt.

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Eine Theologie der Seelsorge

Beat A. Tanners Dissertation war das erste Buch zum Thema Seelsorge, an dass ich mich getraut habe. Das ich gleich so einen Wälzer wählte, lag daran, dass ich den Autor persönlich kennen lernen durfte. Das erste Kapitel erschlug mich auch zunächst mit vielen Fachwörtern, aber von Seite zu Seite stieg meine Begeisterung. Der Autor versucht die Seelsorge aus der bettelnden Erniedrigung vor der Psychologie aufzuzeigen, und zeigt auch den Weg dahin: Die Flucht nach vorne zu Christus! Mit den Reichtümern Ägyptens verlieren wir nur unsere Schätze bei Christus. Dafür liefert der Autor zahlreiche Hinweise dafür, wie man Seelsorge auf Grundlage der Rechtfertigung in Christus aufbauen kann:

Unterscheiden, aber nicht trennen!

Das ist eine These auf die der Autor regelmäßig hinweist:

  • Unterscheiden kann man gut zwischen Hirn und Herz, Körper und Seele, und doch trennt die Psychoanalyse diese zu sehr, manchmal soweit, dass die Existenz des inneren Menschen völlig geleugnet wird.
  • Schuld und Scham: „Scham und Sünde sind zwei verschiedene Aspekte der Folgen des Sündenfalles, die sich voneinander nicht trennen lassen. Es lohnt sich jedoch, Sünde und Scham deutlich voneinander zu unterscheiden und gleichzeitig ihre Relation zueinander zu verstehen“ (S. 325)

In vielen weiteren Beispielen wird ein unbiblischer Dualismus entlarvt! Weiterlesen