Vor einigen Jahren zog die Verhaftung der bekannten „Erziehungsbloggerin“ Ruby Franke sogar die internationale Aufmerksamkeit auf sich. Die Aufnahme einer Überwachungskamera, die ihren zwölf Jahre alten Sohn dabei zeigt, wie er bei Nachbarn Hilfe holt, ist erschütternd. Zum Zeitpunkt er Verhaftung war es mir nicht möglich gewesen, weitere Hintergrundinformationen zu der Entwicklung dieser Frau, die von Youtube für den Muttertag als DIE Mutter überhaupt ausgewählt wurde, nachzuverfolgen. Denn mit der Verhaftung waren alle Blogs und Auftritte natürlich entsprechend weg.
Umso dankbarer bin ich für Die Dokumentation „Devil in the Family: The Fall of Ruby Franke“, die in Deutschland leider bisher nur via Disney-Plus zugänglich ist (soweit ich recherchieren konnte). Ein Trailer findet sich hier.
Diese dreiteilige, insgesamt etwa 2,5h lange Dokumentation ist überraschend gut gemacht und enthält einige lehrreiche, wenn auch schockierende Lektionen. Ruby fängt 2015 mit Ihrem Youtube-Channel „8 Passengers“ an, in dem sie das Leben ihrer 8 köpfigen Familie filmt. Schon den ersten Folgen des Vlogs ist eine gewisse Sehnsucht nach Perfektion anzumerken, eindrucksvoll ruft Ruby in die Kamera, dass das für sie „der Himmel auf Erden“ sei, für Ihre Familie in der Küche zu stehen. Jeder kennt die Anspannung in der Öffentlichkeit zu sein. Immer nur privat können wir niemals bleiben, und ich denke jeder ist schon einmal in die Falle gegangen, dass die Außenwirkung besser war, als „das Wahre und Persönliche“.
Entsprechend zeigen die veröffentlichten Folgen von 8 Passengers schon bald nur das, was die Familie zeigen möchte. Die Kinder machen zunächst begeistert mit, denn sie fühlen sich wie kleine Stars. Doch schon bald wird Ist die Kamera immer dabei, und als die Familie in ein neues Haus zieht, wird dieses mehr wie ein Studio hergerichtet. Eine Szene zeigt die Ankunft des Vaters von der Arbeit – immer ein kritischer Moment – ,man erkennt einen erschöpften Mann, der sich zu einem Lächeln für die Kamera zwingt.
Für die Mormonin Ruby wird diese Show immer mehr zur Mission. Sie sieht in ihrem Channel immer mehr eine Art Mission und Tränen stehen ihr im Gesicht, als sie einen jungen Mann trifft, der sich wegen Ihrem Channel der Kirche der Heiligen der Letzten Tage, anschließt.
Es scheint in R. Frankes Vlog zwei Umbrüche zu geben. Irgendwann, und dieser Moment ist nicht so ganz eindeutig in der Doku auszumachen, dominiert nicht mehr bloß die Darstellung des Familienalltags. Ruby fängt an, immer mehr über ihre zunehmend harschen Erziehungspraktiken zu reden. Zu einem Bruch mit den Followern kommt es, als sie in einem Video erzählt, dass der Älteste Sohn wegen unzufriedenstellenden Umgangs mit seinem Smartphone zu sieben Monate langem Schlafen auf dem Sitzkissen verdonnert wurde. Mit den Followern verschwinden auch die Einnahmen, die bis zu 100.000Dollar monatlich betrugen. Ruby sieht sich einer Woken Cancel-Kultur ausgeliefert und die Familie bekommt Kontakt mit der mormonischen „Seelsorgerin“ Jodi Hildebrandt. Sie macht erst mächtig Eindruck auf die Familie, sowohl der Ehemann wie auch der Sohn haben nun wöchentlich mit Ihr Online-Treffen, Ruby selbst wird schon bald Assistentin von J. Hildebrandt.
Nun überschlagen sich die Ereignisse. Es ist 2019-2020 mittein in Corona und sowohl für Fam. Franke wie für Jodi Hildebrandt ist klar: Die letzte Zeit ist vor der Tür. J. Hildebrandt interpretiert sich zunehmend als eine Prophetin dieser Zeit und wird begeistert von Ruby angefeuert, die sie nun immer mehr in ihre Familie lässt. Mit fatalen Folgen: Kevin, der Mann von Ruby wird zu einer Zwangstrennung verdonnert, die beiden ältesten Kinder dürfen keinen Kontakt mehr mit der Familie haben. Zu diesem Zeitpunkt veröffentlicht Ruby vor allem Prepper-Videos.
Sie ist nun überzeugt, dass ihre jüngsten Kinder dämonisch besessen sind. Austreiben kann die Dämonen hier nur noch mehr Härte, so lässt sie die Kinder in der Sonne stehen, verschmiert Ihre Wunden mit Pfeffer, hält sie gefangen fest. Verhungert, verprügelt und mit letzter Kraft gelingt dem 12 Jährigen Sohn die Flucht – Jodi und Ruby werden verhaftet. Im Verlauf des Verfahrens bekennen sie sich schuldig und werden zu jeweils 30 Jahren Haft verurteilt.
An der Dokumentation wirken auch die zwei ältesten Kinder Rubys, Chad und Shary Franke, so wie ihr Mann Kevin Franke mit. Die Kinder erzählen sehr behutsam und vorsichtig, fast schon zu unkritisch von dem Verhalten Ihrer Eltern, aber das gibt einen umso zuverlässigeren Einblick in die vorgegangenen Situationen. Das Verhalten des Ehemanns Frankes wirkt aber verstörend, und ein Stück weit versucht er wohl seine Schuld reinzuwaschen, aber leider ist ein Großteil der Entwicklung dieser Familie nur möglich gewesen, weil er zu oft zu passiv war.
Die Dokumentation fesselt einen eigentlich von der ersten bis zur letzten Minute. Sie ist ein guter Warnruf für jeden, der öffentlich, nicht nur mit Youtube-Beiträgen, sondern z.B. mit Blogs oder Instagram-Beiträgen aktiv ist. Gerade wenn man „seine Familie“ präsentiert, ist man schnell dabei, diese in einem gewünschten, statt tatsächlichen Licht zu sehen und zu präsentieren. Und schon bald fängt man an das verkaufte Bild selbst zu glauben und jede Abweichung von diesem Ideal wird zu einer großen Krise. Die Dokumentation bringt glaubhaft herüber, dass Franks Ansinnen zunächst wirklich ein gutes war, doch sie verliert sich letztlich in einem schrecklichen Albtraum. Jeder der öffentlich auch nur irgendetwas geäußert hat, wird um diesen Kampf wissen, sich „besser darzustellen, als die Realität ist“. Die Dokumentation zeigt dafür eine gut gewählte Szene (die auch im Trailer zu sehen ist). Die Mutter möchte eine glückliche Familie zeigen, doch der Sohn ist zermürbt. Also fordert sie ihn auf „zu faken, dass er glücklich ist“.
Auch wenn der Mormonismus ebenfalls eine Ursache dieser Entwicklung ist, was in der Dokumentation regelmäßig, aber leider nicht vertiefend genug, besprochen wird, sind die Parallelen zu allen Christlichen Lebensmodellen in denen Jesus zwar durchaus wichtiges Vorbild, aber eben kein Freund und Versöhner ist, deutlich. Überall sah diese Familie Dämonen, und fing an, diese zu bekämpfen, und merkte in all diesem Kampf nicht, dass sie dem Teufel schon längst Tür und Tor geöffnet haben. Die Parallelen hier zu einigen Gesprächen mit z.B. Pfingstlern waren beängstigend. Gleichzeitig besitzen sie eine geradezu krankhafte Gier nach Perfektion, und eigentlich nicht nur Fam. Franke, sondern der ganze Ort, getrieben von einer erbarmungslosen Leistungs-Theologie des Mormonismus.
Aber auch Ihr Kontakt mit einer Seelsorgerin, die zwar Paar-Therapie anbot, aber selber geschieden war, ist ein lehrreicher Aspekt. Seelsorge ist eine behutsame Sache und gehört nicht in die Hände von Spezialisten- geschweige den in die von selbsternannten Aposteln – , sondern in den geschützten Rahmen der Gemeinde. J. Hildebrandt hat übrigens ein vierstöckiges Herrenhaus ganz alleine bewohnt. Und trotz allem ihrem Wohlstand war sie eine Prepperin und besaß einen ganzen Keller voll Vorräte.
Die Dokumentation zeigt auch die zentralen Ratschläge Hildebrandts: Isolation und Trennung. Gemixt mit feministischen Ideen, wurden Paare, die sich von ihr beraten lassen haben, sehr bald zur Trennung ermutigt und zur Isolation von anderen. Seelsorge kann auch in evangelikalen Kreisen genau diesen gefährlichen Trend entwickeln: Isolation und Trennung. Umso beklagenswerter ist, dass obwohl ihr und Ruby das Handwerk gelegt wurde, sie letztlich ihr Ziel erreicht hat. Die Beziehung von Vater zu den Kindern und den Kindern untereinander ist nachhaltig gestört.
Diese Rahmenbedingungen: Die Sekte der Mormonen, durch manipulierte Seelsorge herangezüchtete Angst vor Dämonie, der Prepper-Wahn und der Perfektionismus der digitalen Selbstdarstellung waren das Gift aus dem die Zerstörungswut Ruby Frankes wuchs, die ihren Kindern beinahe das Leben gekostet hat. Für mich persönlich war vor allem der letzte Aspekt eine wichtige Mahnung ehrlicher und demütiger in der digitalen Welt aufzutreten (oder eben nicht aufzutreten). Es wäre viel besser, wenn diese Frau auch nicht ein Video gefilmt hätte, auch nicht einen Like bekommen hätte, auch nicht einen Follower gehabt hätte, und doch ihre Seele und ihre Familie gerettet hätte.