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The Whole Christ von Sinclair Ferguson
Persönliche Neuentdeckung 2021

Sinclair Ferguson ist mit „The Whole Christ“ in mehrfacher Hinsicht ein Spagat gelungen. Einerseits gelingt es ihm, eine trocken wirkende Debatte der schottischen Presbyterianer im 18ten Jahrhundert in unsere Zeit zu holen. Dabei erweist er sich als Experte in den Lebensläufen vieler Puritaner und der Gläubigen Schottlands. Seine Detailangaben erleichtern dabei den Lesefluss und öffnen mit diesen Darstellungen eine weite Tür in das bunte und lebendige Werk der Puritaner (Ich denke persönlich, dass ihm das sogar viel besser gelingt als z.B. Beeke in der „Puritan Theology“). Doch worum ging es bei dieser Debatte, die als „the Marrow Controversy“ bis heute fast jeden Theologiestudenten Schottlands beschäftigt? Ferguson arbeitet die Relevanz der dahinterstehenden Frage heraus: Gibt es eine Bedingung, um zu Jesus zu kommen bzw. von seinen Segnungen zu profitieren. Wir kennen diese Frage oft im Rahmen der Frage: „Kann ich jedem sagen, dass Christus für ihn gestorben ist?“ Wer bis dahin dachte, dass es bloß ein calvinistisches Problem ist, wird von den Ausführungen Fergusons überrascht: 

„Leider sind Calvinisten und Arminianer (historisch gesehen, deformierte Calvinisten in ihrer Theologie) genau an diesem Punkt in denselben Fehler verfallen, (nämlich) die Segnungen des Evangeliums von der Person Christi zu abstrahieren.

Arminianer glauben an ein universales Sühnopfer, das jedem Menschen das Heil ermöglicht (wenn auch keinem garantiert), weil Christus ausnahmslos für alle gestorben ist. Eine typische arminianische Antwort auf die persönliche Sühne (oder das „begrenzte Sühnopfer“) ist daher die Aussage: „Wenn ich das glauben würde, könnte ich nicht mehr allen das Evangelium predigen, weil ich ihnen nicht mehr sagen könnte: „Christus ist für dich gestorben“. Das kann also unmöglich eine biblische Lehre sein, denn wir sollen ja allen Menschen das Evangelium verkünden.“

In gewisser Weise stimmte der deformierte Calvinismus des frühen achtzehnten Jahrhunderts mit der gleichen zugrunde liegenden Logik überein, argumentierte aber vor dem Hintergrund der persönlichen Sühne, dass die Wohltaten des Todes Christi nicht allen gehören und daher auch nicht allen angeboten werden sollten.

Wir haben gesehen, dass der falsche Schritt hier die Trennung von Nutzen und Wohltäter ist. Was ist dann die biblische Antwort? Es ist einfach so, dass die Apostel das Evangelium an keiner Stelle mit diesen Worten verkündigen: „Glaubt, weil Christus für euch gestorben ist.“ Nein, die Rechtfertigung für den Glauben an Christus ist weder das Wissen um die Erwählung noch die Überzeugung von der universalen Erlösung. Es ist auch nicht das Bewusstsein unserer Sündhaftigkeit. Es ist die Tatsache, dass Jesus Christus in der Lage ist, alle zu retten, die durch ihn zu Gott kommen, denn er ist der einzige Name, der unter dem Himmel gegeben ist, durch den wir gerettet werden können.

Christus selbst ist das Evangelium“ (S. 51f. eigene Übersetzung) Weiterlesen

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„Alle hoffen, dass der Teufel jenseits des Meeres ist und wir Gott in der Tasche haben“

Book as Artifact, Artifact as Book: Part Four • Southwestern UniversityEigentlich ist es eine logische Schlussfolgerung von Luthers rigoroser Verteidigung von sola fide und sola gratia, dass man den Sinn des Gesetzes völlig in Frage stellt. So tat es auf jeden Fall auch Johannes Agricola, ein lutherischer Theologe, auf den Luther so viele Hoffnungen setzte, dass er ihn in seinem Heim in Wittenberg ließ, und sich von ihm selbst für Predigten und Vorlesungen vertreten ließ. Agricola war nun der Ansicht, dass die Predigt des Gesetzes für Christen unnötig ist, da man nun im neuen Bund, nämlich im Bund der Gnade lebt. Entsprechend gehören das Gesetz Gottes bzw. die Zehn Gebote aus der Kirche (…) verstoßen und in das Rathaus (…)verwiesen;“

Wie aber sollte die Predigt des Evangeliums ohne Gesetz möglich sein? „Lieber Gott, kann man es denn nicht ertragen, dass die heilige Kirche sich als Sünderin erkennt, die an die Vergebung der Sünden glaubt und dazu im Vaterunser um die Vergebung der Sünden bittet? Woher weiß man aber, was Sünde ist, wenn es das Gesetz und das Gewissen nicht gibt? Und woher will man lernen, was Christus ist, was er getan hat für  uns, wenn wir nicht wissen sollen, was das Gesetz ist, das er für uns erfüllt hat, oder was Sünde ist, für die er an unserer Stelle genuggetan hat?“ Agricolas Vorschlag das Evangelium nur aus dem Trost der Tat Christi zu predigen, lehnt Luther entschieden ab.

Luther listet auf, wie wichtig das Gesetz für ein protestantisches Programm der Bildung und Erziehung eines Christen wichtig ist, auch verwurzelt im lutherischen Bekenntnis: „Und es wundert mich sehr, wie man mir unterstellen kann, dass ich das Gesetz bzw. die Zehn Gebote verwerfen wollte, wo es doch von mir so viele Auslegungen der Zehn Gebote und nicht nur eine gibt, die man in unseren Kirchen auch täglich predigt und lehrt, ganz zu schweigen von der Confessio Augustana und der Apologie und unseren anderen Büchern.“

Luther hält in seiner Schrift vehement fest, dass er sowohl Gnade, wie das Gesetz erhalten nebeneinander und zusammen erhalten möchte:

Für Luther geht es dabei nicht um Details. Eine Ablehnung des Gesetzes wäre Grund genug für ein Schisma: „Selbst wenn ich unterstelle, dass ich gelehrt oder gesagt hätte, man sollte das Gesetz nicht in der Kirche lehren – obwohl doch alle meine Schriften es anders zeigen und ich von Anfang an immer den Katechismus behandelt habe –, sollte man mir darum so stur anhängen? Oder sollte man nicht mir selbst widersprechen – da ich doch alle Zeit sehr anders gelehrt habe – und von mir selbst abfallen, wie ich es mit der Lehre des Papstes getan habe?“ Weiterlesen