Alle Artikel mit dem Schlagwort “Augustinus

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„Buch vom Glauben, von der Hoffnung und von der Liebe“ von Augustinus von Hippo

Manche Titel der Kirchenväter-Bücher tragen schon echt coole Titel, das „Enchiridion“ (= Handbüchlein), wie das „Buch vom Glauben, .von der Hoffnung und von der Liebe auch genannt wird“ hat definitiv einen spannenden Titel. Wie man erwarten darf, findet sich das Buch bei der Bibliothek der Kirchenväter.

Ich habe zu dem Buch aus zwei Antrieben heraus gegriffen: Zum Einen wollte ich wissen, was eigentlich die Definition von Hoffnung ist. Hoffnung ist ein Begriff, der mir noch weniger „greifbarer“ erscheint als Glaube. Irgendwie klingen versuchte Definitionen von Hoffnung nach Glaube (und teilweise auch umgekehrt).

Außerdem wollte ich wissen, ob es zu dieser Dreiteilung von Glaube, Hoffnung und Liebe weitergehende Betrachtungen gibt: Also fassen diese drei „Oberbegriffe“ alle Tugenden mit ein, in etwa dieser Art: Glaube die Tugenden in Richtung Gott (wie z.B. Treue, Vertrauen), Hoffnung die Tugenden zu sich selbst (wie z.B. Geduld, Ausharren) und Liebe die Tugenden zu den Mitmenschen (und somit auch Langmut, Sanftmut, Güte usw..).

Für diese zweite Frage fand ich in diesem Werk von Augustinus keine Antwort, auf die erste immerhin teilweise. Augustinus geht auf die Frage nach dem Unterschied von Glaube und Hoffen in Kapitel 2 dieses Werkes ein. Während man sowohl Böses wie Gutes glaubt, Vergangenes, wie Zukünftiges, blickt die Hoffnung nur auf die Zukunft und „zwar nur zu solchen Gütern, die den angehen, der die Hoffnung auf sie hegt“.

Dennoch war die Lektüre dieses mittellangen Werkes alles andere als enttäuschend. Es findet sich eine Besprechung des Glaubensbekenntnisses darin, dass Augustinus als Zusammenfassung aller christlichen Tugenden wertet. Die Exkurse, die Augustinus dabei zieht, waren teilweise sehr aufschlussreich, z.B. als er darüber nachdenkt, ob Notlügen zulässig sind (Kapitel 6, Augustinus lehnt diese Möglichkeit kategorisch ab).

Typisch Augustinus ist dabei, dass er diese Fragen oft von verschiedensten Perspektiven betrachtet. In Kapitel 7 entwickelt er seine Frage weiter: Man kann sich positiv irren und negativ nicht irren. Kann ein Irrtum etwas gutes bewirken, ja auch in guter Absicht entstanden sein, während eine Lüge, die zufälligerweise die Wahrheit trifft, weiterhin eine Lüge bleibt. Ein sehr spannendes Kapitel.

Augustinus spinnt den Faden weiter und landet bei einem Thema, dass man bei Augustinus regelmäßig trifft: Das Zusammenspiel von Gnade und freier Wille. Gerade in diesem Buch entwickelt er eine differenzierte Betrachtung darüber, wie der Wille des Menschen im Zustand im Paradies ist, wie er im Gefallenen und wie er im erlösten Zustand ist (Vergleiche auch diese Aufstellung in diesem Artikel).

Sehr spannend war die Besprechung des Sühnetods Christi (Kapitel. 13). Sehr gründlich stellt Augustinus zwei Möglichkeiten, zwei Wege, zwei Zustände dar: Entweder in Christus oder in Adam. Leider entwickelt sich hier der Faden in teils seltsame Wege. Der Zustand „in Christus“ kann nach Augustinus nur durch die Wiedergeburt der Taufe erreicht werden, ein Grund für ihn über die Notwendigkeit der Säuglingstaufe nachzudenken – dass er das tut deute ich derweil so, dass die Säuglingstaufe um das Jahr 400 noch vehement verteidigt und begründet werden musste. Während Augustinus in Kapitel 18 noch sehr vorsichtig von der Möglichkeit eines Fegefeuers spricht, klingt er in Kapitel 29 ganz anders: Hier spekuliert er, dass gute Taten der Nachkommen das Fegefeuer erträglicher machen können. Das sind so „Katholizismen“ des Buches, die aber kirchenhistorisch für die Entwicklungsgeschichte solcher Themen sehr interessant zu lesen sind. Sehr interessant ist auch wie kritisch Augustinus ehelichen Verkehr wertet (Kapitel 21). es ist im besten Fall eine durch den Apostel tolerierte Sünde.

Das Buch enthält viele interessante historische Details, z.B. die Erwähnung eines siamesischen Zwillings (Kap. 23) oder die Besprechung der Frage, ab wann eigentlich das Leben beginnt (gleiches Kapitel). Augustinus bespricht diese Fragen im Kontext von „der Auferstehung des Fleisches“. Ein starkes Kapitel, wie auch die gründliche Betrachtung der Buße in den Kapiteln 19-22. Leser, die mit Fragen nach dem Monergismus ringen, werden Kap. 27 IN wiefern heißt es 1. Tim 2,4: „Gott will, dass alle Menschen selig werden?“ interessant finden. Über weite Strecken ist das Buch von hervorragender Auslegungskraft, so werden Quellenunterschiede genauso besprochen, wie Wortstudien, Auslegungsweisen, wobei Augustinus gelegentlich über die Strenge schießt und stellenweise an Tertullians Dialektik erinnert. – Üblicherweise ist er aber ein ausgewogener und vorsichtiger Ausleger der Schrift.

Eigentlich hat man diesen Effekt bei Augustinus regelmäßig: Er klingt so oft sowohl völlig katholisch, während er noch eine Seite so radikal evangelisch klang. Mir geht es als Leser aber so, dass die radikale Zuwendung zum Evangelium und zur Gnade ein großer Trost und eine große Ermutigung wird, während der Katholizismus weiterhin ein Fremdobjekt bleibt.

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„O felix culpa“
Aus der römisch-katholischen Osternachtsliturgie

Manchmal stößt man über ein Zitat in unterschiedlichem Kontext mehrfach. So ging es mir mit einem Ausschnitt aus der Osternachtsliturgie, der mindestens provozierend formuliert ist. Da heißt es (lateinische und deutsche Fassung von hier):

O certe necessarium Adae peccatum,
quod Christi morte deletum est!

O felix culpa,
quae talem ac tantum meruit habere Redemptorem!

Oh wahrhaft heilbringende Sünde des Adam,
du wurdest uns zum Segen, da Christi Tod dich vernichtet hat.

O glückliche Schuld,
welch großen Erlöser hast du gefunden!

Der Ausruf „O glückliche Schuld“ hat es sogar zu einem Wikipedia-Artikel geschafft. Kostbar ist der dahinterliegende Gedanke, dass die Wiederherstellung des Sünders in der Erlösung in in einen höheren Stand bringt, als den er vor dem Fall besaß. Vor allem Augustinus investierte in diese Überlegungen einige Zeit und Hirnschmalz. Darunter im Enchiridion (Dem Buch vom Glauben, der Hoffnung und der Liebe). Da heißt es unter anderem: Melius enim iudicavit de malis benefacere, quam mala nulla esse permittere – Gott hielt es für besser aus dem Bösen das Gute zu wirken, als gar kein Böses zuzulassen). Entsprechend ist der Zustand des Menschen in der Herrlichkeit ein Besserer, da er nicht sündigen kann. Die Herrlichkeit von jemanden, der nicht mehr die Möglichkeit besitzt zu sündigen ist somit besser und höher, als die, von jemanden der sie kann.

Dieses unterschiedliche  Befähigung Gutes und Böses zu tun, finden wir erneut im Westminster Bekenntnis, dass sich eng an den vier Willenszuständen des Menschen orientiert, wie es Augustinus schildert, als es das Kapitel vom freien Willen beschreibt:

  • Vor dem Fall: Fähig zu sündigen
  • Nach dem Fall: Nicht fähig nicht zu sündigen
  • Nach der Wiedergeburt: Fähig nicht zu sündigen
  • In der Herrlichkeit: Nicht fähig zu sündigen

In Kürze. Ein erneuerter Blick auf die Erlösung erneuert auch unseren Blick darauf, was „echte Freiheit des Willens bedeutet“, nämlich die, mit Gottes Willen im Einklang zu sein. Oder mit den Worten des Westminster Bekenntnisses (Artikel 9.5):

„Der Wille des Menschen wird erst im Stand der Herrlichkeit vollkommen und unveränderlich frei gemacht, nur Gutes zu tun“

Die zwei Autoren, die „felix culpa“ erwähnten, waren übrigens, zunächst Edmund Clowney, der in seinem Werk zur Christologie zeigt, dass wir erst nach dem Fall die Herrlichkeit Christi erfahren und zweitens Helmut Thielicke in einem Predigtband über die Gleichnisse Christi (unter dem Titel „Das Bilderbuch Gottes“ erschienen).

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Zitate aus De Dono Perseverantiae
Augustinus über die Gabe des Ausharrens bis zum Schluss

Lesezeit: 31 Minuten

Ein Tag im Zeichen des Augustinus - einBLICK - Online-Magazin der Universität Würzburg

Das Werk Augustins De Dono Perservantiae“ ist eigentlich ein Brief Augustins an Hillarius, und kann als zweites Buch über die Vorherbestimmung verstanden werden, denn es baut in weiten Teilen darauf an. Inhaltlich lassen sich beide Werke dennoch gut unabhängig von einander lesen. Tatsächlich war dieses Werk, eines der ersten von mir, dass ich von Augustinus gelesen habe. Die praktischen Implikationen aus der Überlegung, dass die Errettung eine Gnadengabe Gottes sind, sind bei Augustinus an der Frage nach dem Ausharren bis zum Schluss ausgerichtet. Eine Anwendung, wie man sie in der Reformation vor allem für die Glaubensgewissheit gezogen hat, wird man aber nur angedeutet finden. Auch die Frage nach der Identität ist hier weniger vorhanden, wenn auch Augustinus darauf in anderen Werken eingeht.

Das Werk ist im Mittelalter auch unter dem Titel “Die Vorzüge  des Geschenkes der Beharrlichkeit” bekannt gewesen. Mir war es nicht möglich eine deutsche Version des Buches zu finden, so dass ich es auf Englisch gelesen habe. Eine doppelte Übersetzung will ich meiden, und habe deswegen diesmal die Zitate auf Englisch belassen. Ich verweise gerne auf deepl.

Im Grunde genommen habe ich beim Lesen immer wieder ein Deja-Vu erlebt: „Ach Augustinus hat ja dieses Beispiel auch schon erwähnt“, deswegen bespreche ich dieses Werk sehr ausführlich mit sehr vielen Zitaten direkt und ungekürzt aus dem Werk. Entsprechend versuche ich im Folgenden über alle 69 Kapitel des Werkes einen Überblick zu geben. Die englische Übersetzung des Werkes findet sich übrigens auch kostenfrei im Web.

Zu Anfang seines Werkes definiert Augustinus, dass er “nicht über Worte streiten möchte”, aber er Ausharren  als die Gabe definiert, im Glauben bis zum Schluß auszuharren: “And the believer of one year, or of a period as much shorter as may be conceived of, if he has lived faithfully until he died, has rather had this perseverance than the believer of many years’ standing, if a little time before his death he has fallen away from the stedfastness of his faith.” Weiterlesen

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„Die Liebe Gottes findet nicht vor, sondern schafft sich, was sie liebt.“
Die Heidelberger Disputation 1518

Durch Carl Trueman (z.B. in seiner Vorlesung zur Reformationsgeschichte, in der Essay-Sammlung des Autors  „Reformation – heute noch aktuell“ im kürzlich erschienen Buch „Luther on the christian life“ geht er jeweils sehr ausführlich auf Luthers Unterscheidung zwischen Theologen der Herrlichkeit und Theologen des Kreuzes ein). wurde ich auf ein Ereignis in Luthers Laufbahn aufmerksam, dass in vielen Darstellungen des Reformators schnell untergeht. 

Im April 1518 (und noch deutlich vor der Eröffnung des Verfahrens durch die römische Kurie  im Juli 1518) fand unter Leitung Luthers eine Disputation in der Versammlung der Augustiner statt, die seine Thesen zum Ablass diskutieren sollte. Luther bereitete Thesen vor, die wohl einige überrascht haben dürften. Sehr entschieden entscheidet sich Luther für eine augustinische Darstellung des Heils. Einige der 28 Thesen (hier samt Begründung vollständig zu finden) im Wortlaut:

Die Werke der Menschen, wenn sie auch noch so sehr in die Augen fallen und gut zu sein scheinen, müssen doch als Todsünden gelten.

Der Mensch, der da meint, er wolle dadurch zur Gnade gelangen, dass er tut, soviel ihm möglich ist, häuft Sünde auf Sünde, so dass er doppelt schuldig wird.

Ganz gewiss muss ein Mensch an sich selbst verzweifeln, um für den Empfang der Gnade Christi bereitet zu werden.

Das Gesetz sagt: »Tue das!«, und es geschieht niemals. Die Gnade spricht: »An den sollst du glauben!«, und alles ist schon getan.

Nicht der ist gerecht, der viel Werke tut, sondern wer ohne Werke viel an Christus glaubt.

Die Liebe Gottes findet nicht vor, sondern schafft sich, was sie liebt. Die Liebe des Menschen entsteht nur an dem, was sie liebenswert findet.

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„Nicht den Gegenstand, der mir zum Falle wurde, nein, den Fall selbst liebte ich“

Auf diesen Auszug aus den Bekenntnissen von Augustinus bin ich durch eine sehr gelungen Predigt von Paul Koch aus der St. Martini Kirche in Bremen aufmerksam geworden. Dieser Text findet sich im Vierten Kapitel des zweiten Buches. Die deutsche Übersetzung der Confessiones  findet man lizenzfrei im Internet.

„Bekannt ist, dass dein Gesetz, o Herr, den Diebstahl bestraft, und zwar sogar das in die Herzen der Menschen eingegrabene Naturgesetz, das nicht einmal ihre Bosheit auszulöschen vermag. Denn welcher Dieb ertrüge, auch wenn er begütert ist, gleichmütig den Diebstahl eines, den Not dazu treibt? Ich aber wollte einen Diebstahl begehen und habe ihn auch begangen, nicht durch irgendwelche Notwendigkeit veranlasst: an Gerechtigkeit fehlte es mir, ja ich hatte Ekel vor ihr, und vor Bosheit erstickte ich. Denn ich stahl, was ich im Überfluß, ja noch viel besser besaß. Auch wollte ich nicht, was der Diebstahl mir verschaffte, genießen, sondern den Diebstahl selbst und die Sünde.

Nahe unserm Weinberg stand ein Birnbaum mit zwar zahlreichen, jedoch häßlichen und unschmackhaften Früchten. Diese abzuschütteln und hinwegzuschleppen, machten wir jungen Leute uns ohne Scham- und Ehrgefühl bei tiefer Nacht auf – so lange hatten wir unser verderbliches Spiel auf dem Platze getrieben – und trugen gewaltige Lasten von dort hinweg, nicht um sie zu essen, sondern um sie den Schweinen vorzuwerfen. Und wenn wir auch eine Kleinigkeit davon aßen, so geschah es nur deshalb, weil wir damit etwas Unerlaubtes tun konnten.

Sieh mein Herz, o mein Gott, sieh mein Herz, dessen du dich erbarmt hast in der Tiefe seiner Bosheit. Sieh, mein Herz soll dir nun sagen, was es dort suchte, dass ich nämlich ohne jeden Grund böse und meiner Bosheit Grund nur die Bosheit selbst war. Abscheulich war sie, und trotzdem liebte ich sie, liebte mein Verderben, liebte meinen Fehltritt.; als ich in der Verworfenheit meines Gemütes. mich von deiner Grundfeste ins Verderben stürzte, da begehrte ich nicht schimpflich irgendeinen Gegenstand, sondern die Schande selbst.“

Augustinus, der auch seine sexuellen Ausschweifungen vor seiner Bekehrung bereut, wählt doch gerade ein Ereignis seiner Kindheit als Generalexempel für seine abgrundtief böse Veranlagung. Trueman weist in Grace Alone  (S. 58, eigene Übersetzung) zurecht darauf hin, dass, „diese Passage eine wunderschöne Vereinigung aus Erzählung und Theologie ist. Die trivialen Details der Erzählung ziehen den Leser in die Begebenheit hinein, ganz subtil aber auch persönlich. Hätte Augustinus ein Schwerverbrechen, z.B. einen Mord, einen Raubüberfall oder einen Staatsverrat, wäre der Leser wohl schockiert, würde sich aber kaum mit dem Protagonisten identifizieren. Nur wenige Leser hätten Erfahrung gehabt solche Verbrechen zu begehen noch das Verlangen gespürt so etwas zu tun. Doch die Handlung eines kindlichen Diebstahls ist die Art von Sünde, die jedes Kind entweder begangen hat oder versucht hat. Die Erzählung zieht den Leser in etwas hinein, mit der er sich identifizieren kann: Den Diebstahl einer Frucht vom Baum des Nachbarn. Wir lesen den Abschnitt und wir erkennen etwas von uns selbst. Die Erzählung stellt eine theologische Falle dar.“