Alle Artikel in der Kategorie “Zitate

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„Ein Unterricht, wie sich die Christen in Mose schicken sollen“

1525, ganz unter dem Eindruck der Bauernkriege und schwärmerischer Bewegungen, hielt Luther eine Predigt allgemeiner Art über den Umgang der Christen mit den Gesetzestexten und letztlich auch mit dem Umgang des Alten Testaments im Ganzen.

Letztlich ist seine Strategie, dass Mose die Christen nichts angehe, und dass „Heidenchristen“ das natürliche Gesetz völlig ausreicht, nicht wirklich überzeugend, aber einen Gedanken fand ich bei Luther doch sehr hilfreich. Luther hält seine Leser an, sich immer wieder zu fragen, zu wem dieser Text gesagt sei. Luther in seiner unnachahmlichen Art (Link zum Dokument):

„Aber unsere Rottengeister fahren zu; bei allem was sie in Mose lesen, sprechen sie: da redet Gott, das kann niemand leugnen, darum muss man’s halten. Da fällt denn der Pöbel ein: Hui, hat es Gott geredet, wer will da widerreden? Da werden sie denn herbeigetrieben wie die Schweine über den Trog. Unsere lieben Propheten haben es dem Volk so vorgeplappert: Liebes Volk, Gott hat sein Volk geheißen, dass sie die Amalekiter totschlagen sollten, und andere Sprüche mehr. Daraus ist Jammer und Not gekommen; da sind die Bauern aufgestanden, haben keinen Unterschied gewusst, sind derart von den tollen Rottengeistern in diesen Irrtum geführt worden. Wenn da gelehrte Prediger gewesen wären, die hätten den falschen Propheten entgegentreten und ihnen lehren und so zu ihnen sprechen können: Liebe Rottengeister, es ist wahr, Gott hat es Mose geboten und hat so zum Volk geredet. Aber wir sind nicht das Volk, zu dem es der Herr redet. Mein Lieber, Gott hat auch mit Adam geredet – ich bin darum nicht Adam. Er hat Abraham geboten er solle seinen Sohn erwürgen – ich bin darum nicht Abraham, so dass ich meinen Sohn erwürgen würde. So hat er auch mit David geredet. Es ist alles Gottes Wort, wahr istʼs. Aber Gottes Wort hin, Gottes Wort her, ich muss wissen und auch haben, zu wem das Wort geredet wird. Es ist noch lange nicht an dem, dass du das Volk seist, mit dem Gott geredet hat. (…)

Man muss mit der Schrift sorgfältig umgehen und verfahren. Das Wort ist nun seit Anbeginnauf mancherlei Weise ergangen. Man muss nicht allein darauf sehen, ob es Gottes Wort sei, ob Gott es geredet habe, sondern viel mehr, zu wem es geredet sei, ob es dich betreffe oder einen anderen. Da gibtʼs denn einen Unterschied wie Sommer und Winter. Gott hat zu David viel geredet, hat ihn dies und jenes tun geheißen. Aber es geht mich nicht an, es ist nicht auch zu mir geredet. Er kann es gewiss zu mir reden, wenn er es so haben will. Du musst auf das Wort sehen, das dich betrifft, das zu dir geredet wird, und nicht auf das, das einen anderen betrifft.

Es gibt zweierlei Wort in der Schrift: Das eine geht mich nicht an, betrifft mich auch nicht, das andere betrifft mich. Und auf dasjenige, das mich angeht, kann ichʼs kühnlich wagen und mich darauf als auf einen starken Felsen verlassen. Betrifft es mich nicht, so soll ich still halten. Die falschen Propheten fahren zu und sprechen: Liebes Volk, das ist das Wort Gottes. Es ist wahr, wir könnenʼs ja nicht leugnen. Wir sind aber nicht das Volk, zu dem er redet. Gott hat uns auch weder dies noch jenes geheißen, das er ihnen zu tun befohlen hat. (…) Darum sprich(…) so: Lass Mose und sein Volk beieinander; es ist mit
ihnen aus, er geht mich nicht an. Ich höre das Wort, das mich betrifft. Wir haben das Evangelium. Christus spricht: „Geht hin und predigt das Evangelium“, nicht allein den Juden, wie Mose, sondern „allen Heiden“, ja „allen Kreaturen“. Mir ist gesagt: „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig“ (Mark. 16,15 f.), und: „Geh hin und tu deinem Nächsten wie dir geschehen ist.“ (Luk. 10,36 f.) Diese Worte betreffen auch mich, denn ich bin eine von allen Kreaturen. Wenn Christus nicht hinzugesetzt hätte „Predigt allen Kreaturen“, so wollte ich mich nicht darum kümmern, wollte nicht getauft werden und mich so dazu verhalten, wie ich mich jetzt zu Mose verhalte. Um den kümmere ich mich rein gar nicht. Er geht mich auch nicht an, denn er ist nicht mir, sondern allein den Juden gegeben. Wenn indessen Christus spricht, man solle das Evangelium: „Wer glaubt und getauft wird, der wird gerettet werden“ nicht einem Volk allein, nicht an diesem oder jenem Ort der Welt, sondern allen Kreaturen der Welt predigen, so ist niemand ausgenommen, sondern es sind alle Kreaturen darin inbegriffen. Niemand braucht daran zu zweifeln, es solle auch ihm das Evangelium gepredigt werden. So glaube ich denn dem Wort, es gehe mich an, ich gehöre auch unter das Evangelium und in das Neue Testament. Darum wage ich’s auf das Wort, und sollte es mich hunderttausendmal den Hals kosten.“

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Was für ein Segen ist das? Johannes Calvin und die Reichgotteserwartung im Alten Testament

In Calvins Institutio findet sich in Buch 2 ein über drei Kapitel (9-11) gehender Themenblock, der die Beziehung, Ähnlichkeit und Unterschiede vom Alten und Neuen Testament bespricht. Schwerpunkt vom 10 Kapitel („Von der Ähnlichkeit des Alten und Neuen Testaments“) ist dabei die Frage, ob die Menschen im Alten Testament eine irdische oder eine himmlische Herrlichkeit erwarteten. Wollte Mose sein Volk in das irdische Kanaan führen oder in das himmlische. Und wenn in das himmlische, wie viel wussten die Väter tatsächlich davon, oder wusste vielleicht nur Gott von der ewigen Seligkeit und hat sie den Patriarchen und Gläubigen des Alten Testaments verborgen. Dieses Ziel des Glaubens, das Reich Gottes zu ererben, davon geht Calvin entschieden aus, ist im Neuen Bund das gleiche wie im Alten Bund. Die Väter ererbten nicht eine andere Zukunft als wir, ihre Kinder im Neuen Bund. Eine zentrale Stützstelle ist für Calvin dabei Heb. 11,13-16 (siehe II,10,13), ein Text der davon spricht, dass die Patriarchen eben gar keine erfüllenden irdischen Segnungen bekamen und die zukünftige Heimat erwarteten. Zentral ist aber auch die Phrase „Ich bin euer Gott“. Gott ist ein Gott der Lebenden und nicht der Toten. Gottes Gegenwart unter seinem Volk war schon seine größte Zusage seiner über den leiblichen Tod anhaltenden Gemeinschaft mit diesem. Calvin schreibt dazu (II,10,8): „Und wäre ihnen (Anm.: Dem Volk Israel in der Wüste) nichts weiter gesagt worden, so hätten sie doch eine vollgültige Verheißung des geistlichen Lebens an dem einen Wort gehabt: „Ich bin euer Gott“ (Ex. 6,7). Denn er hat sich nicht allein für unseren Leib zum Gott gegeben, sondern in besonderer Weise für die Seele; diese müsste aber von ihm ferne im Tode verbleiben, wenn er sie nicht in Gerechtigkeit mit sich verbände! Ist aber diese Verbindung da, so bringt sie ewiges Heil mit sich!“

Dieses Kapitel ist für jeden lesenswert, der sich die Frage stellt, wie viel von der ewigen Seligkeit den „Vätern“ bekannt war. Die Menge an Zitaten, die Calvin aus den Liedern Davids und aus prophetischen Texten anbringt, ist erschlagend. Ich sehe in diesem Kapitel aber auch ein wichtiges Korrektiv für die Bewertung der irdischen Segnungen im Leben der Patriarchen. Wie oft verkündigen auch Prediger „des neuen Bundes“, wie großartig z.B. Jakob gesegnet war, und konzentrieren sich dabei ausschließlich auf sein irdisches Leben. Doch was für ein Segen ist das? Ein Leben voll Elend, Ängsten, Todeserfahrungen, Betrug? Calvin bittet uns darum, den Segen Jakobs genauer anzuschauen. Was für ein Segen ist das? Calvin führt zum Schluss von II,10,12 an, dass Jakob entweder undankbar war, als er von der „bösen Zeit seines Lebens“ zeugt, oder gerade den Kern der Sache trifft. Doch lest selbst im nächsten großen Abschnitt aus II,10,12, das uns auch einen Einblick in die illustrierende Kunst Calvins zeigt und wie nah er uns die Erlebnisse Jakobs bringt:

„Und nun ist Jakob gar das Urbild furchtbarsten Elendes. Unruhig ist seine Jugend daheim — unter dem Drohen des erstgeborenen Bruders, das ihn schließlich zur Flucht zwingt. So war er denn ein Flüchtling, und es ist schon allein bitter ge­nug, fern von Eltern und Vaterland leben zu müssen; aber bei seinem Onkel, dem Laban, wird er keineswegs freundlicher und menschlicher aufgenommen. Daß er sie­ben Jahre so harten und rauhen Dienst tut (Gen. 29,20), wäre noch ein Geringes, wenn er nicht mit böser List noch um die Frau betrogen würde! So muß er denn um des zweiten Weibes willen abermals in den Dienst hinein, und da dörrt ihn nach seiner eigenen Klage am Tage die Sonne mit ihrer Glut, und des Nachts quält ihn schlaflos die Kälte! (Gen. 31,40). Zwanzig Jahre trägt er dies harte Leben, und alle Tage erlaubt sich sein Schwiegervater neue Ungerechtigkeiten gegen ihn. Auch zu Hause hat er keine Ruhe: seine Weiber zerreißen und zerstören ihm mit Haß und Streit und Eifersucht das ganze Hauswesen. Dann trifft ihn der Befehl, in die Heimat zurückzuziehen. Aber sein Abschied sieht eher schnöder Flucht ähnlich; und sein Schwiegervater treibt das Unrecht gegen ihn so weit, daß er ihn noch mitten auf dem Wege mit Vorwürfen quält! (Gen. 31,23). Aber bald droht ihm noch größere Not. Denn er zieht ja seinem Bruder entgegen — und er sieht den Tod vielfältig vor Augen, weil Esau in seiner Grausamkeit und seinem Haß ihn eben vielfältig bedroht. Furcht und Bangigkeit macht ihm das Herz schwer, solange er auf das Kommen seines Bruders wartet (Gen. 32,12). Und als er ihm gegen­übertritt, da fällt er ihm wie halbtot zu Füßen — bis er merkt, daß Esau versöh­nungsbereiter ist, als er zu hoffen gewagt! Aber dann wird ihm Rahel, sein einzig geliebtes Weib, gleich beim Betreten des Landes durch den Tod entrissen (Gen. 35,16-20). und dann erhält er bald die Botschaft, daß der Sohn, den Rahel ihm ge­geben und den er mehr liebte als die anderen alle, von einem wilden Tier zerrissen sei (Gen. 37,32). Wie furchtbar sein Schmerz über den Tod des Sohnes war, das sagt er uns selber: er weinte lange Zeit um ihn und wollte sich nicht trösten lassen, hatte auch nichts anderes mehr vor, als „mit Leid hinunterzufahren in die Grube zu seinem Sohn“. Unterdessen nimmt einer seiner Tochter die Ehre (Gen. 34,2), und seine Söhne üben grausame Rache an dem Übeltäter. Dadurch kommt nun der Vater in Verruf bei allen Landesbewohnern, und die Gewalttat der Söhne droht ihn selbst ins Unglück zu stürzen! Was für Angst und Not und Herzeleid macht ihm das alles! Dann erlebt er die unerhörte Freveltat seines erstgeborenen Sohnes Ruben — furchtbarste Schande! (Gen. 35,22). Denn es ist an sich schon schrecklich, die eigene Frau entehrt zu sehen — was soll man aber sagen, wenn der eigene Sohn solchen Frevel begeht? Aber bald darauf besudelt neue Blutschande die Familie (Gen. 38,18); es müßte gar ein Mann, den alle Not sonst nicht hätte beugen und knicken können, unter soviel Schande zusammenbrechen! Und gegen Ende seines Lebens, als er dem Hunger der Seinen Abhilfe tun will, da streckt ihn eine neue Unglücksbot­schaft zu Boden: der eine Sohn liegt in Fesseln — und um ihn wiederzubekommen, soll er seinen Liebling Benjamin fremden Händen überlassen! (Gen. 42,34). Wie soll er in so viel Kummer und Not auch nur einen Augenblick fröhlich aufgeatmet haben? Er selbst ist dafür der beste Zeuge: er versichert dem Pharao: „wenig und böse ist die Zeit meines Lebens“ (Gen. 47,9). Ist er aber nach seinem eigenen Zeugnis alle Lage seines Lebens in Jammer und Elend gewesen, so bezeugt er damit klar, daß er das Glück noch nicht empfangen hatte, das ihm der Herr verheißen. So war denn Jakob entweder ein böser, undankbarer Mensch, der Gottes Gnade nicht zu schätzen vermochte — oder er gab mit diesen Worten ein wirkliches Zeugnis für sein Elend auf Erden ab. War es aber ein wirkliches Zeugnis, so folgt daraus, daß er seine Hoffnung nicht an das Irdische geheftet hat!

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Georg Müller liest die Bibel und trifft auf die Erwählungslehre

Georg Müllers Autobiographie ist ein wirklich monumentales Werk. Leider ist auf deutsch nur ein Teil übersetzt worden, aber durchaus so viel, dass man einen Einblick in das Denken dieses Mannes bekommt, der prägend ist für das Denken der Brüdergemeinden bis heute ist. Müller gewährt Einblicke wie die entstehende Brüderbewegung auf Praktiken wie des „unbezahlten“ Predigtdienstes oder der „Führung beim Predigen“ gekommen ist. Punkte die in vielen Gemeinden bis heute relevant sind. Persönlich schwanke ich zwischen Bewunderung und Irritation, wenn ich Müllers Biographie lese. So gebe ich Müller z.B. Recht wenn er die Auswüchse einer verstaatlichen oder staatsnahen Kirche gründlich und treffend kritisiert. Wie er aber das Gegenstück realisiert hat, wirkt manchmal allzu willkürlich. Es will einem scheinen, dass Auswüchse der Brüderbewegung, an denen sie heute krankt (unendliche Streitigkeiten, Zersplitterung und eine gewisse Lehrfeindlichkeit) schon bei ihren Vätern ihre Keime hatten.

Dennoch kann uns Müller in vielen Dingen als Beispiel dienen, so in seiner Bereitschaft, sich von Gottes Wort formen zu lassen. Er war ein Treuer Knecht unseres Herrn! Er schreibt, wie er einige seiner Positionen fundamental überdenken musste, als er tiefer in Gottes Wort einstieg. Das Buch „Und der himmlische Vater ernährt sie doch“ kann man auch kostenfrei im Web lesen. Das nächste Beispiel zeigt vielleicht recht gut, wie einerseits die Kommentar-Feindlichkeit etwas anmaßendes an sich hat. Man muss fast an das Zitat von Spurgeon denken, als er einst sagte, wie seltsam es doch wäre, dass ausgerechnet die Menschen, die so viel Wert darauf legen, wie viel der Heilige Geist ihnen offenbart hat, so gering davon denken, was der Heilige Geist anderen offenbart hat. (aus „A Chat about Commentaries“, ab Zeile 9). Doch dann kommt Punkt 2 und 3 und 4 die jeden ernsthaften Christen ermutigen fleißig in der eigenen Bibel zu lesen und erneut bestätigen, dass ein ernsthaftes Bibellesen nicht ohne Frucht bleiben wird. Im späteren Verlauf berichtet er auch wie sich seine Haltung zur Missionsarbeit (von Organisation zur individuellen geistgeführten Berufung), zur Endzeit (vom Optimismus zum Pessimismus) und zur Taufe (von Kinds- zur Glaubenstaufe) geändert hat.

„1.) Nur das Wort Gottes kann unser Maßstab für die Beurteilung geistlicher Dinge sein; es kann uns nur durch den Heiligen Geist erklärt werden, der in unserer Zeit genauso wie zu allen Zeiten der Lehrer seines Volkes ist. Und nur der Heilige Geist kann uns unseren natürlichen Zustand zeigen, kann uns klarmachen, wie sehr wir einen Erlöser brauchen, kann uns befähigen, an Christus zu glauben, kann uns die Heilige Schrift erklären und beim Predigen beistehen usw. Dass ich ganz besonders den letzten Punkt verstand, war für mich von großer Bedeutung. Denn der Herr half mir, dies durch ein Experiment zu testen, indem ich alle Kommentare und fast jedes andere Buch zur Seite legte und nur das Wort Gottes las und studierte. Das Ergebnis war, dass ich an dem ersten Abend, an dem ich mich zu Gebet und Nachdenken über die Heilige Schrift in mein Zimmer zurückzog, in wenigen Stunden mehr lernte als bisher in vielen Monaten des Studiums. Aber der eigentliche Unterschied war, dass ich, indem ich dies tat, wirkliche Festigkeit für
meine Seele erhielt.
2.) Vor dieser Zeit hatte ich mich sehr gegen die Lehre der Erwählung und der bis zum Ende bewahrenden Gnade gewehrt – so sehr. dass ich noch wenige Tage nach meiner Ankunft in Teignmouth die Erwählung eine teuflische Lehre genannt habe. Aber nun wurde ich dahin geführt, diese kostbaren Wahrheiten durch das Wort Gottes zu untersuchen. Ich las das Neue Testament von Anfang an durch und achtete besonders auf alles, was mit diesen Lehren zu tun hatte. Zu meinem großen Erstaunen fand ich, dass jene Stellen, die über Erwählung und Bewahrung reden, etwaviermal so häufig sind wie jene, die scheinbar gegen diese Wahrheiten reden. Und wenig später, als ich auch diese Stellen näher untersucht und verstanden hatte, halfen auch sie mir in der Bestätigung dieser beiden Lehren….“

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„Denk ich an Deutschland in der Nacht“ und der Kontext

Die beiden Eröffnungszeilen von Heinrich Heines Gedicht Nachtgedanken eignen sich wohl als ein gutes Beispiel dafür, wie sehr ein Zitat aus dem Kontext gerissen werden kann.

Denn die Intention des Gedichts ist nicht, dass der Zustand Deutschland so furchtbar sei, dass Heine nicht einmal mehr schlafen könne, wenn er diesen überdenkt, sondern ein Ausdruck von Heimweh im langjährigen französischen Zwangsexil. Dabei muss Heine zugeben, dass es vor allem seine Mutter ist, die er vermisst. Das Gedicht ist natürlich, wie man es von Heine erwarten würde, nicht frei von gut platzierter Ironie, wenn Heine seine Mutter („die alte Frau (…) mit zitternder Hand„) mit Deutschland vergleicht, das „ewigen Bestand“ hat und ein „kerngesundes Land“ sei:

„Nach Deutschland lechzt‘ ich nicht so sehr,
Wenn nicht die Mutter dorten wär;
Das Vaterland wird nie verderben,
Jedoch die alte Frau kann sterben.“

Vor allem zum Schluss seines Gedichtes macht sich Heine schließlich auch über seine Emotionen lustig und das Gedicht wird ein gutes Beispiel für seinen Abschied vom Stil der Romantik, dessen deutsche Spielart Heine zunächst maßgeblich geprägt hat:

„Gottlob! Durch meine Fenster bricht
Französisch heitres Tageslicht;
Es kommt mein Weib, schön wie der Morgen,
Und lächelt fort die deutschen Sorgen.“

Heines Gedicht macht deutlich, das der Kontext auch gut bekannte Zeilen in ein ganz anderes Licht stellen kann. Gerade bei biblischen Texten erlebt man da manches. Wir können ja mit Amos 4,4 anfangen, dort heißt es: „Ja, kommt her nach Bethel und sündigt, nach Gilgal und sündigt noch mehr! Bringt eure Schlachtopfer am Morgen und eure Zehnten am dritten Tage“ – Ein eindeutiger Aufruf Gottes an den Menschen umso fleißiger zu sündigen, oder? Auf deeperchristian.com hat der Autor seine Lieblingsstellen gesammelt, die aus dem Kontext gerissen werden:

Deeperchristian bringt ein Beispiel wie es einem ergehen kann, der versucht, Gottes Willen kontextlos „zu orakeln“:

Es wird ein humorvolles (und verstörendes) Beispiel über einen Mann erzählt, der versuchte, Gottes Willen für sein Leben zu erkennen. In Verzweiflung rief er zu Gott: „Zeige mir deinen Willen!“ und schlug seine Bibel auf, um zufällig eine Stelle zu finden, in der Hoffnung, dass Gott ihm Richtung und Inspiration geben würde. Er las: „Judas ging hinaus und erhängte sich.“ Besorgt schloss er die Bibel, ließ sie erneut aufklappen und setzte zufällig seinen Finger auf eine andere Stelle. Diese lautete: „Geh und tu dasselbe.Offensichtlich ist dies nicht der beste Weg, um Gottes Willen zu suchen.

Um etwas ernster zu werden. Über alles, was die drei Freunde sagen steht schließlich Gottes Urteil aus Hi. 42,7: „“Mein Zorn ist entbrannt über dich und über deine beiden Freunde; denn ihr habt nicht recht von mir geredet wie mein Knecht Hiob.“

Die Katholische Kirche hat ja einige recht gute kontextlose Brecher. Da wird das Priestertums des AT einfach weitergeführt. Und dass der Bischof Mann einer Frau sein soll, wird dadurch gelöst, dass er ja mit „seiner Gemeinde“ verheiratet sei. Wie er wohl seinem Hausstand dabei vorstehen soll(1. Tim. 2,5)?

Überhaupt scheint mir, dass eigentlich alle seltsamen christlichen Extremen ob nun unter Christen oder eindeutig unter Sekten sich eigentlich durch eine gewisse Kontextlosigkeit auszeichnen. Da reiht sich die apostolische Sukzession ähnlich ein, wie die Entdeckung des Sabbats oder das Zweifeln an der Gottheit Jesu (wenn auch in unterschiedlich großer Schwere). Insgesamt scheint es mir aber nicht nur die Kontextlosigkeit als Ursache zu bestehen, sondern auch eine Überbetonung schwieriger/seltener Bibelstellen.

Manchmal wird Kontext unnötig kompliziert gemacht. Mir ist jedes Gerede vom Kontext suspekt, dass so weit geht, dass dann eigentlich niemand mehr den Text verstehen kann. Oder, und ich fürchte, es ist eine fast hinterhältigere Variante, nur „Experten“, ob sie nun Doktoren oder Priester seien, können den Text wahrlich recht deuten. Ich denke, dass eine Aussage wie „Gott ist Liebe“ auch völlig vom Kontext losgelöst eine tiefe Aussage hat und manch ein Bauer hat das besser verstanden, „als er sich über sein Vieh erbarmte“ (Spr. 12,10) als manch ein Professor, der in all seinem Kontext nicht mehr wusste, was Liebe eigentlich ist.

Dann wiederum kann die Suche nach dem Kontext geradezu lebenswichtig werden. Ich denke da an die alttestamentlichen Verheißungstexte. Ist man in einem Mindset verhaftet, dass das alte Testament nur für das Volk Israel gültig sieht, welchen Trost mag da auch die beste und schönste Verheißung haben (Wie wäre es mit Jesaja 49, 15 als Text zur Probe: “Kann auch eine Frau ihr Kindlein vergessen, dass sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie seiner vergäße, so will ich doch deiner nicht vergessen.”)? Schließlich gilt das ja womöglich nicht für die Gemeinde. Der unmittelbare Kontext scheint das zunächst zu bestätigen(vgl. V.14) Dabei macht der weite Kontext der Bibel deutlich, dass für die, die in Christus sind, alle Verheißungen in Christus ja und Amen sind (2. Kor. 1,19-20).

Schließlich sind wir so fies, dass wir den Kontext vor allem bei Texten suchen, die uns unangenehm werden wollen. Ich muss sagen, dass mir das z.B. beim Thema der Kopfbedeckung der Fall zu sein scheint. Da wurde in der Moderne viel Kontext entdeckt, und plötzlich wird das Tragen des Schleiers zu einer gesetzlichen Praxis. Dabei war das für viele Jahrhunderte eine gängige Praxis in der Christenheit über die Denominationen hinweg. Doch schwupp kommt ein Professor und schreibt über den Kampf des Paulus gegen den Schleier und fertig ist ein neues Mindset, dass überzeugt ist, den Kontext näher zu beachten, ohne sich wesentlicher mit dem biblischen Text an dieser Stelle auseinandergesetzt zu haben, als die „Väter“ es taten.

Mein Fazit also: Keine Angst vor dem Kontext. Fleißig in der Bibel geforscht und widerstehend der Versuchung, sie plump, extravagant oder gleichgültig auszulegen, werden wir die Botschaft des Wortes Gottes von Tag zu Tag näher und besser ergreifen.

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„Wiedergeburt durch die Taufe“ von C.H. Spurgeon

Mit noch 29 Jahren hielt C.H. Spurgeon eine Predigt, die die theologischen Artikel seiner Zeit noch jahrzehntelang prägen sollte. Einen Überblick der Debatte gibt G. Beasley-Murray im Einführungskapitel zu „Did the Early Church Baptize Infants„. Thema dabei war ausgerechnet die Taufe.

Spurgeon rechnet mit den unter Eid verbrieften Aussagen innerhalb der anglikanischen Taufpraxis ab, die dem Getauften die Wiedergeburt zusagt. Die Durchführung dieser Praxis kann Spurgeon nur in sehr entschiedenen Tönen verwerfen:

„Ich kann verstehen, dass ein einfältiger, unwissender, ungelehrter Mensch dies alles auf die Forderung eines Priesters hin tut; aber ich kann nicht verstehen, wie gottesfürchtige, verständige Leute am Taufstein stehen und den so gnädigen Vater mit Gelübden beleidigen können, die nach einer Erdichtung zusammengestellt wurden und praktisch Falschheit beinhalten. Wie dürfen verständige Gläubige es wagen, Worte zu sprechen, von denen sie in ihren Gewissen überzeugt sind, dass sie sich weit von der Wahrheit entfernen? Selbst wenn ich imstande sein sollte, den Prozess zu verstehen, durch welchen gottesfürchtige Menschen ihre Gewissen mit solchem Tun in Übereinstimmung bringen können, selbst dann werde ich den festen Glauben haben, dass der Gott der Wahrheit niemals einen geistlichen Segen höchster Art mit dem Hersagen solcher falschen Versprechungen und unwahren Gelübde in Verbindung bringen könnte und dass Er es niemals tun wird. Meine Brüder, fällt es euch nicht auf, dass solche unehrlichen Erklärungen nicht mit einer neuen Geburt verbunden sein können, die von dem Geist der Wahrheit gewirkt wird? Ich bin mit diesem Punkt noch nicht ganz fertig, denn ich muss einen anderen Fall annehmen und voraussetzen: Dass Paten und Patinnen gottlos sind, und das ist keine harte Voraussetzung, da wir in vielen Fällen wissen, dass Paten und Eltern nicht mehr über den Glauben nachdenken als der abgöttisch geheiligte Stein, um den sie sich versammeln. Was sind diese Sünder zu sagen bereit, wenn sie ihren Platz eingenommen haben? Nun, sie sind bereit, die ernsten Gelübde abzulegen, die ich bereits erwähnt habe. Total ungläubig, wie sie sind, versprechen sie dennoch für den Säugling, was sie selber niemals getan und worüber sie nie nachgedacht haben. Sie versprechen an Stelle dieses Kindes, »dass es dem Teufel und allen seinen Werken entsagt und beständig Gottes heiliges Wort glauben und gehorsam seine Gebote halten werde«.

Meine Brüder, denkt nicht, dass ich hier hart spreche. Ich denke wirklich, dass hier etwas ist, dass den Dämonen Anlass zum Gespött gibt. Jeder ehrliche
Mensch sollte es beklagen, dass Christen so etwas dulden und dass es gläubige Leute gibt, die sich schmerzlich getroffen fühlen, dass ich in aller Freundlichkeit des Herzens die Abscheulichkeit strafe. Unwiedergeborene Sünder versprechen für einen armen Säugling, dass er alle heiligen Gebote Gottes halten werde, die sie selbst tagtäglich in ausgelassener Weise brechen! Dies kann nur die Langmut Gottes ertragen. Und man sollte nicht dagegen sprechen? Die Steine auf der Straße könnten sich über solche Niedertracht gottloser Männer und Frauen beklagen, welche versprechen, dass ein anderer dem Teufel und allen seinen Werken entsagt, während sie selber dem Teufel dienen und seine Werke mit wahrer Begierde tun. Und der Höhepunkt von dem allen ist, dass ich glauben soll, dass Gott das gottlose Versprechen annimmt und infolgedessen das Kind wiedergeboren wird. Ihr könnt an eine Wiedergeburt durch diese ›Operation‹ nicht glauben, egal ob die Paten Heilige oder Sünder sind. Wenn sie Gläubige sind, so tun sie unrecht, indem sie tun, was ihr Gewissen verdammen muss; wenn sie Gottlose sind, so tun sie unrecht, wenn sie etwas versprechen, von dem sie wissen, dass sie esnicht halten können, und in keinem Fall kann Gott solchen Dienst annehmen, noch viel weniger die Wiedergeburt unfehlbar an eine solche Taufe knüpfen.“

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Sermon von den guten Werken von Martin Luther

Der Sermon von den guten Werken, war damals das erste Werk, dass ich von Luther gelesen habe. Ich bin froh, dass ich mich nun etwa zehn Jahre später auf ein Rereading entschieden habe und halte das Buch weiterhin für ein besonders wertvolles Werk. Hier ist so viel dass mit der katholischen Kirche des späten Mittelalters aneckt in einer unerwarteten Einfachheit und einer geradezu unangenehmen Deutlichkeit ausgedrückt. Dabei spricht Luther ja gar nicht von Gnade, sondern von Werken! Gerade der Blick durch das Evangelium rückt die echten evangelischen guten Werke in den Mittelpunkt. Urquell seiner Struktur sind dabei die zehn Gebote, die Zentrum einer evangelischen Ethik sind. Da dem Christen die Gunst Gottes nun aus Gnaden zuteil ist, kann er freien Mutes Gott und seinem Nächsten dienen. So fängt das kurze Werk (gepriesen sei Luther für seine Kürze) schon sehr steil an:

„Zum ersten ist zu wissen, dass nur das gute Werke sind, was Gott geboten hat, wie auch nur das Sünde ist, was Gott verboten hat. Darum, wer gute Werke wissen und tun will, der braucht nichts anderes als Gottes Gebote zu wissen. So spricht Christus Matthäus 19, 17: »Willst du selig werden, so halte die Gebote!« Und als der Jüngling dort fragte, was er tun sollte, dass er selig würde, hielt ihm Christus nichts anderes vor als die zehn Gebote. Demnach müssen wir die guten Werke nach den Geboten Gottes beurteilen lernen und nicht nach dem Anschein, der Größe oder Menge der Werke an sich selber, auch nicht nach dem Gutdünken der Menschen oder menschlicher Gesetze oder Weisen, wie es, wohin wir auch sehen, gesche­hen ist und noch immer geschieht wegen unserer Blind­heit, unter großer Verachtung der göttlichen Gebote.

Zum zweiten: Das erste und höchste, alleredelste gute Werk ist der Glaube an Christus, wie er sagt Johannes 6, 25f., als die Juden ihn fragten: »Was sollen wir tun, dass wir gute, göttliche Werke tun?« Da antwortete er: »Das ist das göttlich gute Werk, dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat.« Nun, wenn wir das hören oder predigen, gehen wir rasch drüber weg und halten’s für ganz gering und leicht zu tun, wo wir doch hier lange stehen und gut darüber nachdenken sollten. Denn in diesem Werk müssen alle Werke ergehen und das Einströmen ihres Gutseins wie ein Lehen von ihm empfangen. Das müssen wir kräftig her­vorheben, damit sie’s begreifen können. Wir finden viele, die beten, fasten, Stiftungen machen, dies und das tun, ein gutes Leben fuhren vor den Men­schen. Doch wenn du sie fragst, ob sie auch gewiss seien, dass es Gott wohl gefalle, was sie so tun, sprechen sie: Nein. Sie wissen’s nicht oder zweifeln daran. Darüber hinaus gibt es auch etliche große Gelehrte, die sie verfuhren und sagen, es sei nicht nötig, dessen gewiss zu sein, die doch sonst nichts anderes tun, als gute Werke zu lehren! Nun sieh, diese Werke gehen alle außerhalb des Glaubens vor sich; darum sind sie nichts und ganz tot. Denn wie ihr Gewissen zu Gott steht und glaubt, so sind auch die Werke, die daraus geschehen. Nun ist da kein Glaube, kein gutes Gewissen zu Gott. Darum ist den Werken der Kopf abgeschlagen und all ihr Leben und Gutsein ist nichts. Daher kommt es, wenn ich den Glauben so sehr hervorhebe und solche ungläubigen Werke verwerfe, beschuldigen sie mich, ich verbiete gute Werke, wo ich doch gern rechte, gute Werke des Glaubens lehren wollte!

Zum dritten: Fragst du sie weiter, ob sie das auch als gute Werke erachten, wenn sie arbeiten in ihrem Hand­werk, gehen, stehen, essen, trinken, schlafen und allerlei Werke tun zur Leibesnahrung oder gemeinem Nutzen, und ob sie glauben, dass Gott auch dabei ein Wohlgefallen an ihnen habe, so wirst du wieder finden, dass sie Nein sagen und die guten Werke so eng fassen, dass nur das Beten in der Kirche, das Fasten und Almosengeben übrig bleiben; die ändern halten sie für vergeblich, Gott sei nichts daran gelegen. Und so verkürzen und verringern sie wegen ihres verdammten Unglaubens Gott seine Dienste, dem doch alles dient, was im Glauben geschehen, geredet, gedacht werden kann. So lehrt es der Prediger: »Gehe hin fröhlich, iss und trink und wisse, deine Werke gefallen Gott wohl. Allezeit lass dein Kleid weiß sein und das Öl deinem Haupt nimmer gebrechen. Gebrauche dein Leben mit deinem Weib, das du lieb hast, alle Tage dieser unbeständigen Zeit, die dir gegeben sind.« (Prediger 9, 7ff.) Dass das Kleid allezeit weiß sei, das meint, dass alle unsre Werke gut seien, wie sie genannt werden mögen, ohne allen Unterschied. Aber nur dann sind sie weiß, wenn ich gewiss bin und glaube, sie gefallen Gott. Und so gebricht dem Haupt meiner Seele des Öl eines fröhlichen Gewissens nimmermehr. So sagt auch Christus Johannes 8, 29: »Ich tue allezeit, was ihm wohlgefällt.« Wie tat er das allezeit, wenn er doch aß und trank und schlief zu seiner Zeit? …“

Das vollständige Werk kann man hier downloaden.

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Morgen-, Abend- und Tischgebete aus Luthers kleinem Katechismus

Während der Vorbereitung zu einem Vortrag über Martin Luthers Leben und Werk bin ich auch auf manch ein Kuriosum gestoßen, z.B. diese Gebete aus dem Kleinen Katechismus:

Wie ein Hausvater sein Gesinde soll lehren morgens und abends sich segnen.

Der Morgensegen

 Des Morgens, so du aus dem Bette fährst, sollt du dich segnen mit dem heiligen Kreuz und sagen: „Das walt Gott Vater, Sohn und heiliger Geist! Amen.“

 Darauf knieend oder stehend den Glauben und Vater unser. Willst du, so magst du dies Gebetlein dazu sprechen: „Ich danke Dir, mein himmlischer Vater, durch JEsum Christum, Deinen lieben Sohn, daß Du mich diese Nacht vor allem Schaden und Fahr behütet hast, und bitte Dich, Du wollest mich diesen Tag auch behüten vor Sünden und allem Uebel, daß Dir alle mein Thun und Leben gefalle. Denn ich befehle mich, mein Leib und Seele und alles in Deine Hände. Dein heiliger Engel sei mit mir, daß der böse Feind keine Macht an mir finde! Amen.“

 Und alsdann mit Freuden an dein Werk gegangen und etwa ein Lied gesungen, oder die zehen Gebot oder was dein Andacht gibt.

Der Abendsegen

 Des Abends, wenn du zu Bette gehst, sollt du dich segnen mit dem heiligen Kreuz und sagen: Das walt Gott Vater, Sohn und heiliger Geist! Amen. Darauf knieend oder stehend den Glauben und Vater unser. Willtu, so magst du dies Gebetlein dazu sprechen: „Ich danke Dir, mein himmlischer Vater, durch JEsum Christum, Deinen lieben Sohn, daß Du mich diesen Tag gnädiglich behütet hast, – und bitte Dich, Du wollest mir vergeben alle meine Sünde, wo ich unrecht gethan habe, und mich diese Nacht gnädiglich behüten. Denn ich befehle mich, mein Leib und Seel und alles in Deine Hände. Dein heiliger Engel sei mit mir, daß der böse Feind keine Macht an mir finde! Amen.“

 Und alsdann flugs und fröhlich geschlafen.

Wie ein Hausvater sein Gesinde soll lehren das Segensgebet und das Dankgebet zu sprechen.

 Die Kinder und Gesinde sollen mit gefalteten Händen und züchtig vor den Tisch treten und sprechen: „Aller Augen warten auf Dich, HErr, und Du gibst ihnen ihre Speise zu seiner Zeit. Du tust Deine milde Hand auf und sättigest alles, was lebt, mit Wohlgefallen.„(Erklärung: Wohlgefallen heißt, dass alle Tiere so viel zu essen kriegen, dass sie fröhlich und guter Ding darüber sind; denn Sorgen und Geiz hindern solch Wohlgefallen.)

Darnach das Vater unser und dies folgende Gebet: „HErr Gott, himmlischer Vater, segne uns und diese Deine Gaben, die wir von Deiner milden Güte zu uns nehmen, durch JEsum Christum, unsern Herrn! Amen.“

Also auch nach dem Essen sollen sie gleicher Weise tun, züchtig und mit gefalteten Händen sprechen: „Danket dem HErrn, denn Er ist freundlich und Seine Güte währet ewiglich, der allem Fleische Speise gibt, der dem Vieh sein Futter gibt, den jungen Raben, die Ihn anrufen. Er hat nicht Lust an der Stärke des Rosses, noch Gefallen an jemandes Beinen. Der Herr hat Gefallen an denen, die Ihn fürchten und auf Seine Güte warten.“

 Darnach das Vaterunser und dies folgende Gebet: „Wir danken Dir, HErr Gott Vater, durch JEsum Christum, unsern HErrn, für alle Deine Wolthat, der Du lebst und regierest in Ewigkeit! Amen.“

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Calvin schreibt an Bullinger über Luther

„…Ich höre, Luther sei kürzlich mit furchtbarem Schelten nicht nur über Euch, sondern über uns alle hergefahren. Es ist ja schon an sich traurig, dass wir, gering an Zahl und rings von Gegnern umgeben, noch in unserer eigenen Mitte im Kampf zusammenstoßen. Aber zu unpassender Zeit konnte es wirklich nicht dazu kommen als gerade jetzt. Ich kann mich daher nicht anders ausdrücken als: Gott hat dem Satan die Zügel gelockert. Luther hat darin freilich, außer seinem eigenen, maßlos leidenschaftlichen und kecken Charakter, den Amsdorf zum Ratgeber, einen geradezu verrückten Menschen ohne Nachdenken. Er lässt sich von ihm lenken ,oder besser: Auf Abwege führen. Es ist aber gut, wenn wir anerkennen, dass auch mit dieser Geißel der Herr uns schlägt. Wir werden dann geduldiger tragen, was sonst entsetzlich herb wäre.

Ich weiß nicht, ob Luther durch irgendeine Schrift von Euch gereizt worden ist. Aber wenn ein Charakter wie der seine, der nicht nur reizbar, sondern verbittert ist, auch aus geringfügiger Ursache aufbraust, zu solchem Toben und Lärmen konnte er sicher keinen genügenden Grund haben.

Nun wage ich kaum Euch zu bitten, Ihr möchtet stillschweigen, denn es wäre nicht recht, Unschuldige so schimpflich behandeln zu lassen und ihnen Gelgenzeit zur Rechtfertigung zu verweigern. Auch wäre es schwer zu sagen, es wäre gut zu schweigen. Aber das ist mein Wunsch, dass Ihr Euch darauf besinnt, welch großer Mann Luther doch ist, durch  welche außerordentlichen Geistesgaben er sich auszeichnet. Wie tapfer und unerschütterlich, wie geschickt, wie gelehrt und wirksam hat er bisher gearbeitet an der Zerstörung der Herrschaft des Antichrist und an der Ausbreitung der Lehre zur Seligkeit. Ich habe schon oft gesagt: Wenner mich einen Teufel schölte, ich würde ihm doch die Ehre antun, ihn für einen ganz hervorragenden Knecht Gottes zu halten, der freilich auch an großen Fehlern leidet, wie er an herrlichen Tugenden reich ist.

Hätte er sich doch bemüht, sein stürmisches Wesen besser im Zaum zu halten, mit dem er überall herausplatzt! Hätte er doch die Leidenschaftlichkeit, die ihm angeboren ist, stets gegen die Feinde der Wahrheit gekehrt, statt sie gegen Knechte des Herrn blitzen zu lassen! Hätte er sich doch mehr Mühe gegeben, seine Fehler einzusehen! Am meisten haben ihm die Schmeichler geschadet, da er schon von Natur zu sehr dazu neigt, sich selbst milde zu behandeln. Doch ists unsere Pflicht, was fehlerhaft an ihm ist, so zu tadeln, dass wir seiner genialen Begabung etwas zu gut halten. Denk also vor allem daran, das bitte ich dich wie deine Kollegen, dass ihr es zu tun habt mit einem Erstling unter den Knechten Christi, dem wir alle viel schulden. Ihr werdet ja euch, wenn Ihr in feindlichen Kampf mit ihm tretet, nichts erreichen, als dass ihr den Ungläubigen ein Vergnügen bereitet, so dass sie dann triumphieren werden, nicht so sehr über unsere Personen, als über die Sache des Evangeliums. Wenn wir uns gegenseitig herunterreißen, dann schenken sie uns mehr wie genug Glauben. Wenn wir aber einmütig und einstimmig Christus predigen, dann wollen sie uns die Glaubwürdigkeit absprechen du missbrauchen dazu eben unsere Anschuldigungen gegeneinander, denen sie mehr glauben als recht ist. Ich möchte, du sähest es und bedächtest es mehr als das, was Luther seiner maßlosen Heftigkeit wegen verdiente. Es soll doch bei uns nicht eintreten, was Paulus tadelt (Gal. 5,1), dass wir uns gegenseitig beißen und fressen und dabei selbst verzehrt werden. Auch wenn Luther uns gereizt hat, ist es besser, abzustehen vom Kampf, als den Schaden größer zu machen zum Nachteil der ganzen Kirche…“


Diesen Brief schrieb Johannes Calvin am 25.11.1544 an Heinrich Bullinger. Dieser und viele weitere lesenswerte Briefe Calvins finden sich hier.

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Wie J.H. Volkening einen Sterbenden zu Christus führte (von Wilhelm Busch)

J.H. Volkening, Erweckungsprediger

Wilhelm Busch berichtet eine ungewöhnliche Bekehrungsgeschichte in seinem Buch Jesus unser Schicksal (Ab. S. 97):

„Im Ravensberger Land hat im vorigen Jahrhundert ein gewaltiger Erweckungsprediger gelebt: Johann Heinrich Volkening. Durch die Predigten Volkenings ist das Land um Bielefeld, das Ravensberger Land, tatsächlich umgewandelt worden. Dieser Volkening wurde eines Abends zu einem reichen Bauern gerufen. Der hatte einen großen Hof und war ein rechtschaffener und fleißiger Mann. Die Er­weckungspredigten hasste er aber vom Grunde seines Her­zens.

Wissen Sie: Er lehnte es ab, ein Sünder zu sein. Er brauchte keinen Sünderheiland am Kreuz. Er sagte: »Ich tue recht und scheue niemand.« – Eines Tages wird Volkening zu ihm gerufen, weil der Bauer auf den Tod krank ist. Er will das Abendmahl. Und Volkening geht hin. Volkening war von großer Gestalt, und seine leuchtend blauen Augen fielen besonders auf. Er tritt also an das Bett dieses Bauern, schaut ihn lange schweigend an und sagt dann: »Hinrich, ich bin bange, bange bei euch. So wie bisher geht’s noch nicht in den Himmel, sondern geradewegs der Hölle zu.« Spricht’s, dreht sich um und geht. Nun, der reiche Bauer hat eine Mordswut und tobt: »Das will ein Pfarrer sein! Ist das christliche Liebe?« Dann kommt die Nacht. Der schwerkranke Bauer liegt wach. In seinem Gewissen bohrt’s: »Es geht nicht dem Himmel zu, sondern der Hölle! Wenn das wahr wäre!« Und dann fallen ihm auch allerhand Sünden ein. Er hatte Gott nicht geehrt. Und er hat gelegentlich auch sehr klug andere betrogen. In den Nächten darauf aber überfällt ihn eine richtige Angst. Er wird wirklich sehr unruhig. Er sieht auf einmal, dass es viel Schuld in seinem Leben gibt und dass er absolut kein Kind Gottes ist. Jetzt möchte er mit Ernst umkehren. Nach drei Tagen schickt er seine Frau wieder zu Volkening: »Frau, hole den Volkening!« Es ist spät am Abend. Volkening kommt sofort. Der Bauer sagt in großer Unruhe: »Pfarrer, ich glaube, ich muss umkehren!« »Ja«, erklärt Volkening, »sachte gehn kommt mit dem Alter! In der Not rufen sie, aber Notbuße – tote Buße! Es muss ganz anders kommen.« Spricht’s, dreht sich um und geht. Jetzt hat der Bauer erst recht einen Mordszorn. – Sie hätten doch auch alle einen ganz großen Zorn auf den Pfarrer, nicht? Schließlich stände der Pfarrer sich ja auch besser, wenn er mit einem reichen Bauern freundlich spräche. Es sieht doch auch so aus, als ob der Mann bald sterben würde. Aber Volkening war ein Mann, der vor Gott stand und wusste, was er sagte.

Drei Tage hat’s noch gedauert, bis der Bauer in eine schreckliche Not kam. Dann wusste er: »Ich muss sterben! Und wo sind in meinem Leben Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut, Keuschheit gewesen?« Er hatte ein Leben lang den Heiland verachtet, der für ihn starb. Er hatte ihn weg gejagt, der in seiner Liebe vor ihm stand. Er sieht sich am Rande der Hölle und ist ein völlig verzweifelter Mann. »Frau«, bittet er, »hol den Pfarrer!« Die entgegnet: »Ich mag nicht mehr! Der hilft dir doch nicht!« »Frau, hol ihn! Ich komme in die Hölle!« Da geht dieFrau. Als Volkening kommt, findet er einen Mann, der begriffen hat: »Irret euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten, denn was der Mensch sät, das wird er ernten!« Volkening rückt einen Stuhl ans Bett heran und fragt: »Gelt, es geht in die Hölle?« »Ja, es geht in die Hölle!« Da sagt Volkening: »Hinrich, lass uns nach Golgatha gehen! Auch für dich starb Jesus!« Und nun spricht er ihm in den freundlichsten und lieblichsten Worten davon, wie Jesus Sünder errettet. Aber dazu müssten wir erst auch in unseren eigenen Augen Sünder gewor­den sein. Da müsste es erst aufhören mit dem »Ich tue recht und scheue niemand!«.Da müsste man erst in der Wahrheit stehen. Dann könne Jesus erretten! Jetzt erkennt der Bauer auf einmal: »Jesus starb für mich am Kreuz! Er bezahlt für meine Sünden! Er kann mir die Gerechtigkeit schenken, die allein vor Gott gilt!« Und zum ersten Mal betet der Bauer richtig: »Gott, sei mir Sünder gnädig! Herr Jesus, rette mich vom Rande der Hölle!« Volkening geht leise weg. Er verlässt einen Mann, der Jesus anruft. Volkening ist getrost, denn dreimal steht in der Bibel: »Wer den Namen Jesus anruft, soll selig werden.« Als er am nächsten Tag wieder hinkommt, findet er einen Mann, der Frieden mit Gott hat.»Wie steht’s, Hinrich?« Und Hinrich antwortet: »Er hat mich angenommen – aus Gnaden!« Ein Wunder ist geschehen!“

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Johannes Calvin über das Streben nach Heiligung

Schon länger arbeite ich mich Kapitel für Kapitel durch Calvins Institutio durch. In Buch III bespricht Calvin das „Leben eines Christenmenschen“ in Kapitel 6ff (Man findet die Institutio a.k. Unterricht in der christlichen Religion vollständig kostenfrei auf der Webseite calvinismus.ch). Übrigens ist es überraschend, wie Calvin das Thema Heiligung platziert. Nach Glaube und Buße aber noch vor Rechtfertigung und Erwählung. Über Gründe für diese ungewöhnliche und unerwartete Reihenfolge hat David Gibson einen großartigen Artikel geschrieben, den zwei Brüder freundlicherweise für glaubend.de übersetzt haben. Calvin macht sehr schnell aus, dass der Kern echter Heiligkeit darin besteht, dass man nicht sich selbst, sondern Gott gehört. Das ist Selbstverleugnung. In Kapitel 7 schreibt er sehr eloquent:

Sind wir nun aber nicht unsere eigenen Herren, sondern gehören wir dem Herrn – so wird sofort klar, welchen Irrtum wir zu meiden haben und worauf alle unsere Werke in unserem ganzen Leben zu richten sind.

Wir sind nicht unsere eigenen Herren – also darf bei unseren Plänen und Taten weder unsere Vernunft noch unser Wille die Herrschaft führen. Wir sind nicht unsere eigenen Herren – also dürfen wir uns nicht das Ziel setzen, danach zu suchen, was uns nach dem Fleische nütze! Wir sind nicht unsere eigenen Herren – also sollen wir uns und alles, was wir haben, soweit irgend möglich, vergessen!

Auf der anderen Seite: Wir sind Gottes Eigentum – also sollen wir ihm leben und ihm sterben! Wir sind Gottes Eigentum – also muß seine Weisheit und sein Wille bei all unserem Tun die Führung haben! Wir sind Gottes Eigentum – also muß unser Leben in allen seinen Stücken allein zu ihm als dem einzigen rechtmäßigen Ziel hinstreben! (Röm. 14, 8). Wie weit ist der schon fortgeschritten, der erkannt hat, daß er nicht sein eigener Herr ist – und der deshalb seiner eigenen Vernunft Herrschaft und Regiment entzogen hat, um sie Gott allein zu überantworten! Denn die schädlichste Pestilenz, die die Menschen nur zugrunderichten kann, herrscht da, wo der Mensch sich selber gehorcht – und der einzige Hafen des Heils liegt dementsprechend darin, daß wir von uns aus nichts denken, von uns aus nichts wollen, sondern einzig dem Herrn folgen, wie er uns vorangeht!

Der erste Schritt soll also darin bestehen, daß der Mensch von sich selber abscheidet, um alle Kraft seines Geistes daran zu setzen, dem Herrn zu Willen zu sein.

Calvin, Institutio. III, 7,1

Wie so oft trifft Calvin das Mittelgewicht sehr gut. Hier spricht er von Heiligung als echte Tatsache in der Willensentscheidung des Christen ohne Heiligung mit chirstlichem Perfektionismus einerseits oder einer „sich an der Rechtfertigung genügen lassen-Haltung“ andererseits gleichzusetzen. Das macht vor allem das sechste Kapitel deutlich:

Indessen verlange ich nicht, daß die Lebensführung eines Christenmenschen nichts als das vollkommene Evangelium atme – obwohl das zu wünschen ist und wir uns notwendig darum mühen müssen. Ich stelle die Forderung nach der „evangelischen Vollkommenheit“ (Evangelica perfectio) nicht mit solcher Härte, daß ich einen Menschen, der sie noch nicht erreicht hat, deshalb nicht als Christen anerkennen würde. Denn in solchem Falle würden ja alle Menschen von der Kirche ausgeschlossen; ist doch kein einziger zu finden, der von jenem Ziel nicht noch gar weit entfernt wäre; viele aber sind noch recht wenig vorwärtsgekommen, und doch hätten sie es nicht verdient, daß man sie ausschlösse.

Was soll nun aber geschehen? Wir sollen uns jenes Ziel vor Augen stellen und nach ihm allein unser Trachten richten. Es soll uns jenes Zielzeichen gesetzt sein, nach dem all unsere Anspannung, all unser Rennen sich ausrichten soll! Es gebührt sich nämlich nicht, zwischen Gott und dem Menschen in der Weise zu teilen, daß man von dem, was er uns in seinem Worte vorschreibt, einen Teil annimmt, einen anderen aber nach eigenem Ermessen beiseiteläßt. Denn er befiehlt uns überall an erster Stelle die Rechtschaffenheit als das vornehmste Stück seiner Verehrung; darunter versteht er die aufrichtige Einfalt des Herzens, der aller falsche Schein und alle Heuchelei fern ist; der Gegensatz dazu ist das geteilte Herz. Er will also sagen: der geistliche Anfang rechten Lebens liegt darin, daß wir uns ohne Heuchelei mit der inneren Regung unseres Herzens Gott hingeben, um der Heiligkeit und Gerechtigkeit zu dienen.

Es hat aber kein Mensch in diesem irdischen Kerker des Leibes Kraft genug, um mit rechter Freudigkeit seinen Lauf dahinzueilen, ja, die meisten leiden unter solcher Schwachheit, daß sie nur wankend und hinkend, ja auf dem Boden kriechend, bescheiden vorankommen. So sollen wir denn alle nach dem Maß unserer kleinen Kraft unseren Gang tun und den angefangenen Weg fortsetzen! Niemandes Weg wird so unglücklich sein, daß er nicht alle Tage ein Stücklein hinter sich bringen könnte. Wir wollen aber nicht aufhören, danach zu streben, daß wir auf dem Wege des Herrn beständig etwas weiterkommen, wollen auch bei der Geringfügigkeit des Fortschrittes nicht den Mut sinken lassen. Mag auch das Weiterschreiten unseren Wünschen nicht entsprechen, so ist doch die Mühe nicht verloren, wenn nur der heutige Tag über den gestrigen Sieger bleibt. Wir wollen nur in aufrichtiger Einfalt auf unser Ziel schauen und nach dem Zielzeichen uns ausstrecken, wir wollen nicht schmeichlerisch an uns selber Gefallen haben, auch unserer bösen Art nicht nachgeben, sondern in unablässiger Mühe danach ringen, besser zu werden, als wir waren, bis wir dann endlich zur Güte selber hindurchgedrungen sind: sie suchen wir, ihr jagen wir nach durch die ganze Zeit unseres Lebens – dann aber werden wir sie erreichen, wenn wir die Schwachheit unseres Fleisches von uns getan haben und in die vollkommene Gemeinschaft mit Gott aufgenommen sind!

Calvin, Institutio, III,6,5