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Zwölf Perlenketten meiner Lektüre

Der Artikel „Meine persönliche „Top-Ten“ Auswahl christlicher Werke“ benötigt dringend eine Aktualisierung. Heute kann ich sie endlich liefern:

Zunächst möchte ich aufzeigen, wo die Grenzen meines bisherigen Artikels liegen.  Anschließend erläutere ich das Konzept, dass ich als „Perlenketten“ bezeichne: Das Konzept ermöglicht mir, sich mit zentralen Themen ausführlich zu befassen und doch unterschiedliche Perspektiven einzubinden. Die Frage, die ich dabei bespreche, ist, wie man eine hilfreiche Kette mit einem passenden „Anfangsknoten“ knüpft. Schließlich gewähre ich einen Blick in eine größere Auswahl an Perlenketten.

Was an meiner bisherigen Liste problematisch ist

Im Wesentlichen drei Dinge:

1) Es fehlte Struktur: Vor allem „heilige fromme“ Titel prägten mich, häufig ohne Folgen für das alltägliche Leben.

2) Fehlt Substanz: Vor 9 Jahren war ich einfach kein erfahrener Leser: So kannte ich außer Calvins Bibelkommentaren kaum einen anderen Kommentar. Und obwohl ich diese weiterhin für exzellent halte, denke ich, dass man weiser mit Kommentaren umgehen kann.

3) Ich konzentriere mich ausschließlich auf christliche Werke. Ein Schwerpunkt, der mein Leben auch weiterhin prägt, aber ich habe immer auch gerne Klassiker gelesen, die ich nun mit aufnehme.

Wie Perlenketten entstehen

Am Anfang einiger meiner Perlenketten steht der Predigtdienst von Tim Keller:  Immer wieder finden sich dann Beiträge, in denen er davon spricht, welche Autoren ihn geprägt haben. Er sagt, dass er sich in jungen Jahren mit der Frage konfrontiert sah, wie er Nicht-Christen erreichen kann. In Amerika könne man in vielen Bereichen immer noch die Kirchen voll mit Besuchern bekommen, weil viele noch über das christliche Vokabular verfügen. Er sah sich mit der Frage konfrontiert, wie er das Evangelium auch denen erzählen kann, die mit dem christlichen Konzept von Gott, Schöpfung und Erlösung nicht viel anfangen können und fand dabei viel Hilfe in den anglikanischen Evangelikalen Stott, Packer, Motyer, Lucas und weitere. Schon war mein erster Knoten geknüpft: Ich sehe in meinem Umfeld die gleiche Herausforderung, und ein Abgleichen meines Denkens an einer doch anderen Kultur der Briten der 50er bis 90er klingt verlockend. Weiterlesen

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„Aber wer sich lange dumm stellt, wird vielleicht eines Tages wirklich dumm“

Die Schildbürger sind ursprünglich für ihre Klugheit weithin bekannt und werden überall in der Welt gefragt um mit ihrer Klugheit die Dinge zu regeln. Doch Schilda, ihr Heimatort geht dadurch den Bach runter. Also muss etwas unternommen werden. Die Schildbürger nehmen sich nun vor, sich besonders dumm zu stellen. Allen sagt der Plan zu, außer dem Lehrer, der einwendet:

„Wer klug tut, wir davon noch lange nicht klug.Aber wer sich lange dumm stellt, wird vielleicht eines Tages wirklich dumm“. Die anderen lachten ihn aus. „Seht, es fängt schon an.“ „Was?“, meinte der Schmied neugierig. „Eure Dummheit“, rief der Lehrer. Da lachten sie ihn alle aus.

Als erste Dummheit beschließt man den Bau eines dreieckigen Rathauses ohne Fenster. Dieser wird bald eine weltbekannte Kuriosität und spült Geld in die Stadtkasse:

>„So wurden die Schildbürger zwar nicht wegen ihres dreieckigen Rathauses, sondern vielmehr wegen ihrer vergessenen Fenster berühmt. Es dauerte nicht lange, so kamen auch schon die ersten Reisenden nach Schilda, bestaunten die Einwohner, übernachteten und ließen überhaupt ein gutes Stück Geld in der Stadt. „Seht ihr“, sagte der Ochsenwirt zu seinen Freunden, „als wir gescheit waren, mussten wir das Geld in der Fremde verdienen. Jetzt, da wir dumm geworden sind, bringt man es uns ins Haus!“ 

Doch wie viel Dummheit ist eigentlich ideal? Als man Minna, die Kuh des Bürgermeisters dazu bringen möchte, das Gras auf einer Mauer abzugrasen und sie beim Hinaufhieven erstickt, bemerkt der Bürgermeister voll Kummer:

„Liebe Freunde«, sagte er zerknirscht, »an Minnas vorzeitigem Ableben ist einzig und allein unser Scharfsinn und Verstand schuld. Hätte ich das Gras auf der Mauer nicht bemerkt und daraus gefolgert, daß es nutzbringend verwendet werden müsse, wäre das brave Tier noch munter und guter Dinge. Ich fürchte, wir sind noch immer nicht dumm genug.« Die anderen nickten nachdenklich.“

Weil die Schildbürger irgendwann mit dem Umgang mit einem „Maushund“ überfordert sind, zünden sie ihre ganze Stadt an und sind so gezwungen in die ganze Welt auszuwandern:

„Und so kommt es, daß es heutzutage die Stadt Schilda nicht mehr gibt und die Schildbürger auch nicht. Das heißt: Es gibt sie natürlich noch. Nur ihre Enkel und Urenkel und deren Enkel und Urenkel leben über die ganze Erde verstreut. Sie wissen gar nicht mehr, daß sie von den Schildbürgern abstammen. Von Leuten also, die sich, um glücklich zu werden, dumm stellten und dadurch ins Unglück gerieten, daß sie dumm wurden. Und sie können es auch gar nicht wissen.

Denn heutzutage gelangen die Dummen zu Ruhm und Rang, zu Geld und Glück genauso wie die Gescheiten. Woran sollten also die Dummen auf unserer Erde merken, daß sie dumm sind? Ein einziges Merkmal gibt es, woran man die Dummen erkennt: Mit dem, was sie erreicht haben, sind sie selten, aber mit sich selber sind sie stets zufrieden. Gebt also gut Obacht! Bei den anderen, und bei wem noch? Ganz recht,bei euch!“

Alle Zitate aus Erich Kästner: Die Schildbürger.

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„Es gibt zahlreiche Probleme mit der zeitgenössischen Literatur“

Leland Ryken ist Professor Emiritus am Wheaton College. Er ist Experte für Milton, Puritaner und britische Literatur. Er ist Autor zahlreicher Werke über das Studium klassischer Literatur aus christlicher Perspektive und arbeitete an der English Standard Version, einer englischen Bibelübersetzung mit. Bekannt ist er zudem als Liebhaber von Lewis, wie auch als Biograph von J.I.Packer. Professor Ryken hat sich freundlicherweise bereit erklärt, unsere Fragen ausführlich zu beantworten.

  1. Wann begann Ihre Leidenschaft für Literatur?

Meine Leidenschaft für Literatur begann in der Kindheit. Ich komme aus einer sehr einfachen Bauernfamilie mit niederländischem Migrationshintergrund. Keiner meiner Eltern hat die Grundschule beenden können, weil sie auf dem Hof arbeiten mussten. In meinen ersten Lebensjahren waren Fernseher noch nicht üblich. Lesen war das einzige Vergnügen und meine Eltern und meine ältere Schwester waren leidenschaftliche Leser, so dass ich einfach ihrem Beispiel folgte. Bezüglich meiner nun fünfzigjährigen Laufbahn als Literaturdozent wurde ich einfach in diese Richtung gezogen, weil meine Schwester geplant hat, Englischlehrerin an einer High School zu werden. Ich kann mich nicht erinnern, mich bewusst für eine Berufung entschieden zu haben; es entwickelte sich einfach so, wie die göttliche Vorsehung mein Leben gestaltete.

  1. Wie kann ein Christ von Literatur profitieren?

Ich unterteile dieses Thema üblicherweise in drei Teile, basierend auf der dreifachen Aufgabe eines Schriftstellers. Die erste Aufgabe ist die Aufzeichnung oder Darstellung menschlicher Erfahrung. Das Thema der Literatur ist menschliche Erfahrung und die Wahrheit, die Literatur auf dieser Ebene vermittelt, ist Lebenswirklichkeit. Literatur als Ganzes ist das Zeugnis der Menschheit über ihre eigene Erfahrung. Ein praktischer Vorteil, Literatur zu lesen, ist, dass wir dazu geführt werden, menschliche Erfahrung zu betrachten. Während wir diese Erfahrung auf diese Weise betrachten, fangen wir an, sie klarer zu erkennen. Ich bezeichne es als Wissen in Form von richtigem Erkennen.

Zweitens zeichnen Schriftsteller menschliche Erfahrung nicht nur auf, sondern bieten auch Interpretationen derselben an. Das Ergebnis ist, dass Literatur Ideen oder Themen plastisch werden lässt. Diese Ideen können entweder richtig oder falsch sein, somit müssen wir uns mit den Wahrheitsansprüchen in einem Literaturwerk auseinandersetzen. Selbst wenn ein bestimmtes literarisches Werk der Wahrheit, wie sie der christliche Glaube vertritt, nicht gerecht wird, ist der Prozess der Abwägung des Wahrheitsanspruchs eines Werkes selbst ein Antrieb für unser eigenes Nachdenken über die Ideen, die uns vorgelegt werden.

Die dritte Aufgabe des Autors ist die Erschaffung von literarischer Form, Schönheit und Technik zu unserer Freude und Bewunderung zu kreieren. Gott will, dass wir Schönheit in unserem Leben haben. Wir müssen gute Verwalter sowohl unserer Freizeit als auch unserer Arbeit sein.  Die Freizeit kann eine Wachstumszeit für den menschlichen Geist sein und das Lesen von Literatur bietet dafür gute Möglichkeiten.

  1. Sie sind in besonderer Weise von den Puritanern eingenommen. Warum?

Ich wurde durch meine literarische Laufbahn zu einem Kenner der Puritaner. Mein Spezialgebiet in meinem Beruf als Literaturprofessor ist die Lyrik von John Milton, dem Autor des Epos „Paradise Lost“. Milton war Puritaner. Damit war der Grundstein für meine schriftstellerische Karriere gelegt. Eine Veröffentlichung über die Puritaner führte zur nächsten. Dann veranlasste mich Gott, in großen Dimensionen zu denken und so schrieb ich ein ganzes Buch über die Puritaner.  Es wurde unter dem Titel Worldly Saints: The Puritans as They Really Were[1] veröffentlicht. Als sich der Kreis schloss, wandte ich mein Wissen über die Puritaner wieder auf Milton an und wurde zu einem Spezialisten der puritanischen Aspekte seiner Poesie, insbesondere der Sonette.

  1. Wie haben Sie von C.S. Lewis profitiert?

A Reader's Guide to Caspian: A Journey into C. S. Lewis's Narnia (English Edition) von [Leland Ryken, Marjorie Lamp Mead]Ich möchte meine Antwort mit der Bemerkung einleiten, dass ich bei der Zusammenstellung der Verzeichnisse meiner Bücher über Literatur aus christlicher Perspektive feststelle, dass es für C. S. Lewis mehr Einträge gibt als für jeden anderen Autor.  Manchmal, wenn ich vor einer Klasse stehe und im Begriff bin, C. S. Lewis zu zitieren, frage ich: „Wer sagte das?“. Die Standardantwort lautet dann: „C. S. Lewis“.  C. S. Lewis hat einfach so viele gute Dinge über Literatur und das christliche Leben gesagt und er hat sie so gut gesagt, dass es nur natürlich ist, sich ständig auf ihn zu berufen.  Es war in meinem Leben eine Fügung der Vorsehung, dass mir genau die richtigen Lewis-Bücher und -Essays genau zur richtigen Zeit vorlagen.

  1. Sie haben eine Biographie über J.I. Packer geschrieben. (1) Warum haben Sie gerade ihn gewählt? (2) Was kann die heutige Kirche von ihm lernen?

Die Antwort auf Ihre zweite Frage, was Christen von Packer lernen können, ist die gleiche wie die, die ich gerade über C. S. Lewis gesagt habe, nämlich, dass er in vielen christlichen Fragen das Richtige gesagt hat und zwar mit ungewöhnlicher Klarheit.

Meine erste Begegnung mit J. I. Packer kam zustande, als ich als Teenager in einen christlichen Buchladen in meiner Heimatstadt ging (ich lebte tatsächlich auf einem Bauernhof fünf Meilen von der Stadt entfernt) und durch Gottes Vorsehung veranlasst wurde, ein Taschenbuchexemplar von dem zu kaufen, was, wie ich später erfuhr, Packers erstes veröffentlichtes Buch war.  Es trug den Titel Fundamentalism and the Word of God[2]. Bis zum heutigen Tag halte ich es für eines der fünf einflussreichsten Bücher in meinem Leben. Jahre später, als ich mit meinem Buch über die Puritaner zum Abschluss kam, schrieb The ESV and the English Bible Legacy (English Edition) von [Leland Ryken]ich an Packer und bat ihn, ein Vorwort dafür zu schreiben.  Zu meinem Erstaunen stimmte er zu. Viel später arbeitete ich mit Packer im Übersetzungskomitee der Englisch Standard Version (ESV) mit. Als ich mit Packer zwei Tage damit verbrachte, die Notizen durchzugehen, die er zur Manuskriptversion meiner Biografie über ihn geschrieben hatte, kannte ich ihn bereits persönlich und durch seine Schriften.

  1. Was ist in Ihren Augen der Hauptmangel zeitgenössischer Literatur?

Es gibt zahlreiche Probleme mit der zeitgenössischen Literatur. Vieles davon ist zu verwirrend, als dass sie gelingen könnte. Gleichzeitig ist vieles davon propagandistisch und ermangelt an künstlerischem Können. Fast alle gegenwärtige Literatur ist ein anhaltender Angriff auf die christliche Moral und den christlichen Glauben. Wenn wir Filme, visuelle Medien und die Kategorie der Popkultur darunter einschließen, werde ich nicht zögern zu sagen, dass ich die meisten gegenwärtigen Werke für billig und geschmacklos halte.

  1. Warum gibt es heutzutage so wenig kreative Literatur von Evangelikalen?

Es gibt keinen Mangel an Literatur, die von Evangelikalen verfasst wird, aber die Verlagslandschaft ist so breit gefächert und vielfältig, dass es für einzelne Werke schwierig ist, eine Position der Sichtbarkeit und Akzeptanz zu erreichen. Es ist auch wahr, dass wenig aktuelle christliche Literatur mit den großen Werken der Vergangenheit mithalten kann. Das ist ein guter Anlass, Literatur der Vergangenheit nach Herzenslust zu lesen.


Download der Antworten im Englischen.

[1] Zu deutsch etwa: Weltliche Heilige – Wie die Puritaner wirklich waren.

[2] Zu deutsche etwa: Fundamentalismus und das Wort Gottes

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Weisheit erfordert Arbeit

„Was ist der Sinn des Lebens?“, „Wenn Gott gut ist, warum gibt es so viel Böses“, wer hat diese Fragen noch nicht aus dem Munde von Menschen dieser Welt gehört? Wahrlich ein Totschlag-Argument, geschickt eingesetzt pariert man alle weitere Fragen, und das Gewissen bleibt ungerührt. Dabei haben beide Fragen tatsächlich eine berechtigte Wichtigkeit. Dennoch ist das eigentlich schädliche, die Art und Weise wie diese Fragen gestellt werden.eBooks

Ich habe selten erlebt, dass die Fragen wirklich von suchenden Menschen gestellt wurden, sondern vielmehr von solchen, die die Antwort gar nicht interessiert, nach dem Motto: „Sag mir erst, wozu mein Leben da ist, aber du darfst nicht mehr als zwei Minuten dafür brauchen“. Ein wahrer Sucher würde auch Jahre in Kauf nehmen und die Wahrheit zu ergründen.

Tatsächlich gibt es auf schwere Fragen auch nur schwerwiegende Antworten. Einfach ist sie ja, die Antwort die den Sinn des Menschen erklärt. Jeder Katechismus proklamiert: „Der Sinn und Zweck des Menschen ist es, zur Ehre Gottes zu leben“. Aber tatsächlich ist jedem ernsthaften Christen klar, dass dieser Satz zwar schnell ausgesprochen ist, aber ein ganzes Leben benötigt wird, den Inhalt dieser Lehre zu Ergründen. Weiterlesen

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Dr. Lothar Gassmann – Theologe und Publizist im Gespräch

Wie nur wenige im evan­ge­li­ka­len Raum beschäf­tigt sich Dr. Lothar Gas­s­mann bereits seit drei Jahr­zehn­ten mit bib­li­scher Apo­lo­ge­tik, der Ver­tei­di­gung des christ­li­chen Glau­bens. In einem Inter­view mit NIMM UND LIES machte Dr. Gas­s­mann deut­lich, dass er darin kei­nes­wegs sei­nen ein­zi­gen Auf­trag sieht.

NIMM UND LIES: Herr Dr. Gas­s­mann, seit 2009 arbei­ten Sie im Dienst des Christ­li­chen Gemein­de­diens­tes (CGD). Was sind die Ziele des Vereins?

Dr. Gas­s­mann: Die Ziele des CGD sind in sei­ner Sat­zung und auf sei­ner Home­page zusam­men­ge­fasst. Ich zitiere fol­gen­des daraus:

„Der Christ­li­che Gemeinde-Dienst (CGD) e.V. wurde im Jahre 2009 in Pforz­heim (Deutsch­land) gegrün­det. Er ist gemein­nüt­zig tätig, um christ­li­che Gemein­den und Werke in Deutsch­land, Europa und welt­weit zu för­dern. Er ver­folgt fol­gende Ziele: Weiterlesen